Schwäbische Zeitung: Armes Belgien - Leitartikel zum belgischen Ruf
Ravensburg (ots)
Am Montag stand Brüssel still. Kinder gingen nicht zur Schule, Supermärkte waren geschlossen, die U-Bahn fuhr nicht. Die belgische Polizei suchte nach gewaltbereiten Dschihadisten, die an den Pariser Anschlägen beteiligt waren oder neue Angriffe planen. Was ist da los in Belgien?, fragt man in Deutschland kopfschüttelnd.
Dass nicht alles zum Besten steht, ist bekannt: Flamen, Wallonen und eine deutsche Minderheit vermitteln den Eindruck, sie gehörten gar nicht zusammen, hätte man sie nicht gezwungen miteinander auszukommen. Es ist schwer, einen Belgier zu treffen, der sagt, er sei stolz auf sein Land. Von Belgien wissen viele Deutsche, dass die Hauptstadt Brüssel heißt und dort sowohl die EU als auch das Nordatlantische Verteidigungsbündnis (Nato) residieren.
Das Land krankt an seinem fürchterlichen Image. Und das speist sich aus den Überlieferungen über Grausamkeiten belgischer Kolonialisten im Kongo, aus Kinderporno-Skandalen oder den Berichten über die misslungene Integration von Menschen aus den früheren Kolonien. Dann gibt es noch den Brüsseler Stadtteil Molenbeek, wo die Eifersüchteleien konkurrierender Polizeidepartements es ermöglicht haben sollen, dass nur wenige Kilometer entfernt vom Europäischen Parlament und dem Nato-Hauptquartier Terrorangriffe geplant wurden.
Natürlich verhält es sich auch im Falle Belgiens wie mit allen Klischees: Sie treffen gewiss nicht zu, trotzdem ist aber etwas an ihnen dran. Doch gerade jene, die heute gerne über Belgien die Nase rümpfen, seien an einige Patzer der jüngeren deutschen Geschichte erinnert: Die Terroranschläge vom 11.September 2001 wurden in Hamburg geplant, ohne dass die Dienste hierzulande davon Wind bekommen hätten. Die Mörder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) konnten ihr blutiges Handwerk erledigen, weil im föderalen Deutschland ein Geheimdienst nicht mit dem anderen redete. Und die Integration vieler, vieler Menschen aus fremden Kulturkreisen, die steht Deutschland erst noch bevor.
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