Schwäbische Zeitung: Bloß keine Verklärung - Leitartikel zu Obama
Ravensburg (ots)
Am Freitag reist Barack Obama aus Berlin ab - und viele in Europa blicken dem scheidenden US-Präsidenten geradezu sentimental hinterher. Die Gründe sind schnell erklärt: Der Mann ist ein leidenschaftlicher Politiker, ein charismatischer Typ, dazu ein Charmeur und brillanter Redner. Das hat er am Donnerstag bei seinem emotionalen Auftritt mit Kanzlerin Angela Merkel erneut bewiesen. Aber Obama wollte mehr sein als Glamour, er hat große, ehrenwerte Ziele verfolgt. Dieser Tage, wenn sogar Merkel von postfaktischen Zeiten spricht, davon, dass sich die Bürger vermehrt von Gefühlen und nicht mehr von Fakten leiten lassen, muss bilanziert werden, was Barack Obama tatsächlich geleistet hat - vor allem in der Außenpolitik.
In diesem Sinne postfaktisch war der Friedensnobelpreis, den der 44. US-Präsident im Jahr 2009 quasi vorab erhalten hat. Denn ein Politiker, der danach die eigenen Verbündeten ausspioniert, den Drohnenkrieg ausweitet, Syriens fürchterlichen Präsidenten Baschar al-Assad gewähren lässt, und dessen Regierung daran scheitert, das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen, hat diese Würdigung nicht verdient.
Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: Obama war kein schlechter Präsident. Im Laufe der Jahre hat sich sein Interesse an Europa gesteigert, die transatlantischen Beziehungen waren stabil. Er hat sich mit Russland auf die Verschrottung nuklearer Waffen verständigt. Auch seinen Bestrebungen ist es zu verdanken, dass der Atomdeal mit Iran zustande kam und dass der Pariser Klimagipfel nicht zur Farce wurde. Doch der erste schwarze Präsident hat mehr gewollt als erreicht. Erst recht, da er in den letzten Jahren die Republikaner im Kongress gegen sich hatte.
Seine größten Verdienste erwarb sich Obama jedoch im Inneren: die Krankenversicherung, die Rettung ganzer Wirtschaftszweige, die Schaffung vieler Jobs. Aus europäischer Sicht ist es somit nicht angemessen, sein Wirken zu verklären. Ein US-Präsident, dessen Vorgänger George W. Bush war und dessen Nachfolger Donald Trump heißt, hat es leicht, positiv wahrgenommen zu werden.
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