Schwäbische Zeitung: Zinsgewinne zurück nach Athen - Leitartikel zu Griechenland
Ravensburg (ots)
Untergangsszenarien sind seit geraumer Zeit in Mode. Dabei wird verkürzt und polemisiert, Ressentiments sind schnell zur Hand. Die griechische Staatsschuldenkrise ist ein Paradebeispiel dafür. Über die Griechen wurde gezetert, ihnen wurde Faulheit unterstellt und der Eindruck erweckt, dass Deutschland wie immer der Zahlmeister Europas sei. Boulevard-Zeitungen waren entzückt.
Doch acht Jahre sogenannter Griechenland-Rettung belegen das Gegenteil. Obwohl der Bevölkerung große Mühen aufgebürdet wurden, stabilisiert sich Griechenland nur auf einem bescheidenen Niveau - hingegen hat die Bundesrepublik nicht etwa viel Geld verloren, sondern mit Zinsgewinnen fast drei Milliarden Euro verdient. Es wäre richtig, diese Gewinne Griechenland zurückzugeben. Das Land ist mit Geduld und einem konstruktiven europäischen Willen aus der selbst verschuldeten Schieflage befreit worden. Aber als Blaupause für internationale Problemlösungen kann es nicht dienen. Zu heftig und zu persönlich wurde der Streit zwischen Geldgebern und griechischer Regierung geführt.
Viele Griechen müssen nach zahlreichen Reformen, die nichts anderes als Kürzungs- und Strukturprogramme waren, mit sehr wenig Geld durch den Alltag kommen. Die Renten sind massiv beschnitten worden, die Arbeitslosigkeit ist weiter hoch. Wichtige Medikamente für Kranke sind in diesem EU-Mitgliedsland oft nicht mehr erschwinglich. Kurzum: In einigen Stadtteilen Athens herrschen Dritte-Welt-Verhältnisse. Für die Menschen dort ist die Europäische Union schon lange kein Heilsbringer mehr. Das sind die Gründe, warum Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen EU-Haushalt fordert. Nicht um einfach Geld vom Norden in den Süden zur Finanzierung von Schulden zu transferieren, sondern um die EU handlungsfähiger und wirtschaftlich robuster zu machen. Frankreich lag bereits 2015 richtig, als Berlin den Euro-Ausschluss von Griechenland forderte und Paris dies vehement ablehnte. Nach Griechenland braucht jetzt auch die EU tief greifende Reformen.
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