Otto Brenner Stiftung zeichnet herausragenden Recherche-Journalismus aus
Frankfurt (ots)
"Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus" geht 2013 an Michael Obert (Süddeutsche Zeitung, Magazin) +++ Jury ehrt mit "Spezial"-Preis das journalistische Lebenswerk von Armin Thurnher +++ Bundesverfassungsgerichtspräsident Prof. Dr. Andreas Voßkuhle hält Festrede am 12. November +++ Den mit 10.000 Euro dotierten 1. Preis im Wettbewerb des "Otto Brenner Preises für kritischen Journalismus" erhält 2013 Michael Obert. Der Autor wird für seine Reportage "Im Reich des Todes" (Süddeutsche Zeitung, Magazin vom 19. Juli 2013) ausgezeichnet. Obert beleuchtet darin mit bedrückender Klarheit das blutige Geschäft eines der weltweit grausamsten Netzwerke des Menschenhandels. Seine Reportage rüttelt auf: Auf der Sinai-Halbinsel werden Menschen gefangen gehalten, gefoltert, getötet. Eine mörderische Entführungsindustrie ist entstanden, bislang kaum bekannt. Terra incognita: Reporter, die sich hierher wagen, machen ihre Arbeit unter Lebensgefahr, während - nebenan sozusagen - die Kameras der Welt sich auf den arabischen Frühling und dessen Folgen konzentrieren und Touristen Urlaub am Roten Meer machen. "In eindringlicher Sprache", so die Jury, zeigt Michael Obert, wie kriminelle Gewalt, Armut, Weltpolitik und Rassismus gegen schwarze Flüchtlinge zusammenhängen. Ohne Pathos, aber mit Haltung. "Die Mechanismen der Unmenschlichkeit werden von ihm erschütternd bloßgelegt", urteilt die Jury. Der Autor bringt Opfer, Mittelsmänner und Täter zum Sprechen, er spürt die Foltercamps auf und analysiert, warum Polizei und Militär nicht gegen den Menschenhandel vorgehen. Und - so die Jury in ihrer Begründung - "manchmal kann kritischer, mutiger Journalismus die triste Wirklichkeit verändern". Nach der Veröffentlichung ist das Echo von Lesern und NGOs so groß, dass den davongekommenen Opfern der Foltercamps konkret geholfen werden kann. Durch die Obert-Reportage wächst der Druck auf Ägyptens Regierung, etwas gegen das "Reich des Todes" zu unternehmen. Der 2. Preis (5.000 Euro) geht 2013 an John Kantara (freier Journalist) und Michael Fräntzel (ECO Media TV) für die ARD-Dokumentation "Töten per Joystick" (22. Juli 2013). Der Film räumt, so die Jury, gründlich mit der Legende auf, mit Drohnen könne ein klinisch sauberer Krieg geführt werden. Die Wort- und Bildbelege, die diese ARD-Dokumentation liefert, sind erdrückend: Fast immer sind unschuldige Zivilisten unter den Opfern. John Kantara und Michael Fräntzel zeigen auch, wie Drohnen "als fliegende Guillotinen", so die Jury, gegen mutmaßliche Terroristen eingesetzt werden - prophylaktische Tötungen ohne Gerichtsverfahren. Der Film zeigt differenziert die völkerrechtliche Problematik dieser neuen Kriegsführung per Joystick und vermeidet eindeutige Schuldzuweisungen. "Ein exzellenter Fall von politischem Fernsehjournalismus", lobt die Jury. Mit dem 3. Preis (Preisgeld 3.000 Euro) werden Marc Brost, Mark Schieritz und Wolfgang Uchatius für ihren Artikel "Verrechnet" (Die Zeit, 27. Juni 2013) ausgezeichnet. Eine auf Basis manipulierter Daten erstellte Studie der Ökonomen Rogoff und Reinhardt wurde zur Blaupause für die ideologisch getriebene Eurokrisenpolitik - bis ein Student die Rechenfehler aufdeckte. Nach Auffassung der Jury haben die Autoren diese Geschichte nicht nur präzise recherchiert. "In grandioser Klarheit", so heißt es in der Begründung, "rekonstruieren sie diese Geschichte einer gegenseitigen Instrumentalisierung von fahrlässigen Wissenschaftlern und populistischen Politikern". Der "Spezial"-Preis, dotiert mit 10.000 Euro, geht 2013 an Armin Thurnher - Gründer, Verleger und Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Falter". Die Jury zeichnet Thurnher für sein Lebenswerk aus und würdigt ihn als "einen der wortgewaltigsten und denkschärfsten politischen Journalisten deutscher Sprache". Der Österreicher Thurnher ist ein "hinreißend kluger Interpret, Analytiker und Kritiker österreichischer und europäischer Politik, der einen bestechend klaren Blick auch auf die deutsche Gesellschaft hat", schreibt die Jury. Mit dem "Spezial"-Preis wird ein Publizist geehrt, "der in bester Tradition von demokratischer Aufklärung steht", einer, der für die Jury in die große Reihe von Siebenpfeiffer, Börne, Wirth, Tucholsky, Ossietzky und Augstein gehört. Thurnher, so die Jury in ihrer Begründung, "führt einen großartigen publizistischen Kampf gegen Rechtsradikalismus und Reaktion". Auf ihn geht die Wortbildung Feschismus, ein Kofferwort aus Faschismus und fesch, zurück: "Dieses Wort war eine seiner Waffen bei seinen Attacken gegen Jörg Haider". Mit dem Preis würdigt die Jury auch Thurnhers Einsatz für ein soziales Europa. Den Newcomerpreis, dotiert mit 2.000 Euro, erhält Jonas Rest für "Die Klon-Krieger", erschienen am 16. März 2013 im Magazin der Berliner Zeitung. Der Autor beleuchtet in "Die Klon-Krieger" die Machenschaften des Konzerns Rocket Internet, der wie am Fließband andere Internetfirmen kopiert und so ein globales Imperium von Klonfirmen geschaffen hat. Wenn sich die Dynamik von Jungunternehmern mit der organisierten Gier von Finanzinvestoren paart, dann entstehen Konzerne wie Rocket Internet - eine Machtmaschine, mit der die Gebrüder Samwer ihr skrupelloses Geschäftsmodell über den ganzen Planeten verbreiten. "Jonas Rest hat diesen Vorgang wie noch kein anderer vor ihm recherchiert", lobt die Jury die Arbeit des Newcomers. "Seine kundige und genau beobachtete Beschreibung der Akteure bietet einen einzigartigen Einblick in die Abgründe des Berliner Start-up-Booms", schreibt die Jury in ihrer Begründung der Preisvergabe an den talentierten Newcomer des "Brenner"-Journalistenwettbewerbs. Im Rahmen des Wettbewerbs zeichnet die Jury des Otto Brenner Preises auch innovative und wegweisende Medienprojekte aus. 2013 geht der "Medienprojektpreis", dotiert mit 2.000 Euro, an die Initiative "NSU-watch: Aufklären und Einmischen". Nur wenige deutsche und türkische Journalisten fanden per Losentscheid Zugang zum Münchener NSU-Prozess, wichtige Medien müssen wegen Platznot bis heute draußen bleiben. Die Lösung des Problems findet sich im Internet. Ein Bündnis mehrerer Initiativen um das antifaschistische pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V. (apabiz) und die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a) lässt seine akkreditierten Berichterstatter möglichst lückenlose Protokolle der Verhandlungstage anfertigen und stellt diese frei ins World Wide Web - noch dazu ins Türkische übersetzt, was eine, nach Einschätzung der Jury, "zusätzlich verdienstvolle interkulturelle Dolmetscherleistung" ist. Wer nicht dabei war, kann alles nachlesen - das ist die wahrhaft demokratische Dienstleistung, die die Website "NSU-watch" seit Prozessbeginn mustergültig vollbringt, urteilt die Jury. Aus den seitenlangen Nachschriften lässt sich mehr als der Verhandlungsverlauf eines beliebigen Tages rekonstruieren - vor dem Auge des Lesers entsteht eine deutsche Sittengeschichte von Hass und Schuld, Versagen und Verantwortung, man erlebt die nicht immer uneigennützigen Akteure der Rechtsfindung, Anwälte wie Richter, quasi "live" bei der Arbeit. Kein großer Moment geht verloren, kein profaner wird vergessen. "NSU-watch" ist nach Auffassung der Jury "eine informative Website von radikaler Transparenz und ohne die im klassischen Journalismus unvermeidlichen Verkürzungen". "Aufbewahren für alle Zeit!", schreibt die Jury und hofft: "Möge diesem politischen Medienprojekt der Atem nicht ausgehen!" In Kooperation mit "netzwerk recherche e.V." (nr) (www.netzwerkrecherche.de) werden von der Otto Brenner Stiftung zusätzliche, mit jeweils 5.000 Euro dotierte, Recherche-Stipendien vergeben. Die Stipendien ermöglichen es, frei von ökonomischen Zwängen und mit professioneller Begleitung von erfahrenen "Mentoren" innovative und vielversprechende Projektthemen zu recherchieren. 2013 hat die Jury wieder drei Stipendien vergeben. Ein Stipendium erhalten Florian Haenes und Ronald John Mutum, die im Bereich der transnationalen Migrationskontrolle recherchieren. Das zweite Recherche-Stipendium bekommt Sonja Peteranderl. Sie recherchiert zum "Neuland"-Thema "Internetkriminalität" und untersucht die wachsende Bedeutung des Internets für organisierte Kriminalität bzw. kriminelle Handlungen. Um den Erfolg der investigativen Recherche nicht zu gefährden, werden Autor und Thema des dritten Stipendiums erst nach Abschluss der Arbeit öffentlich gemacht. Die Vergabe von drei Recherche-Stipendien und die intensive Betreuung der Gewinner durch profilierte Journalisten gehört zum Markenkern des "Brenner-Preises". Inzwischen liegen über 20 erfolgreich abgeschlossene, zum Teil spektakuläre Recherche-Ergebnisse vor. So ist die folgenreiche und mehrfach ausgezeichnete Recherche aus dem Jahr 2011 zur "Sportförderung in Deutschland" von Daniel Drepper und Niklas Schenck das Ergebnis einer OBS-Förderung mit nr-Betreuung. 2012 erhielt Christine Rietz ein Stipendium, um der Attraktivität der Piusbruderschaft in der katholischen Kirche nachzuspüren. "Die Kreuzzügler", so der Titel ihrer Geschichte über den Reiz des Fundamentalismus in der Moderne, wurde ganzseitig in der FAZ veröffentlicht. Das Ergebnis der Recherche von Hannes Vogel über verdeckten Lobbyismus und bezahlte Reden eines Bundestagsabgeordneten erschien im Nachrichtenmagazin Spiegel und sorgte bei Spiegel Online für vielfältige Reaktionen. Die Gewinner der Ausschreibung 2012 werden über Ergebnisse, Erlebnisse und Erfahrungen ihrer Recherchen bei der diesjährigen Preisverleihung berichten. Die Preisverleihung findet am 12. November in Berlin statt (Hotel Pullmann Berlin, Schweizerhof). Mit großer Spannung wird die Festrede "Kritischer Journalismus als Verfassungsauftrag" erwartet. Festredner ist der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Andreas Voßkuhle. Die Otto Brenner Stiftung der IG Metall verleiht 2013 den "Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus" zum neunten Mal. Prämiert werden journalistische Arbeiten, die das Motto der Ausschreibung "Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten" herausragend umgesetzt haben. Aus fast 700 Bewerbungen wählte die Jury am 2. Oktober die Preisträger in fünf Kategorien. Das Preisgeld beträgt in diesem Jahr insgesamt 47.000 Euro. Mitglieder der Jury des Otto Brenner Preises sind Sonia Seymour Mikich (Leiterin Programmgruppe Fernsehen Inland, WDR), Harald Schumann (Redakteur für besondere Aufgaben, Der Tagesspiegel), Prof. Dr. Volker Lilienthal (Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus, Universität Hamburg), Prof. Dr. Thomas Leif (SWR-Chefreporter und Moderator von "2+Leif") und Prof. Dr. Heribert Prantl (Innenpolitik-Chef und Mitglied der Chefredaktion, Süddeutsche Zeitung) sowie Berthold Huber (Verwaltungsratsvorsitzender der Otto Brenner Stiftung und 1. Vorsitzender der IG Metall). Informationen zu den prämierten Beiträgen und den diesjährigen Preisträgern haben wir in einer Pressemappe zusammengestellt: www.otto-brenner-preis.de. Hier finden Sie auch weitere Informationen zum "Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus", den die Stiftung im kommenden Jahr zum 10. Mal ausschreiben wird. Auf der Internetseite des Otto Brenner Preises besteht für Pressevertreter zudem noch die Möglichkeit, sich bis zum 8. November für die Preisverleihung (und die medienpolitische Tagung der OBS über "Chancen und Grenzen der Gremienkontrolle im öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem", die ebenfalls am 12. November - ab 14:00 Uhr - stattfindet), anzumelden.
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