Europäischer Rechnungshof - European Court of Auditors
EU-Vertragsverletzungsverfahren dauern zu lange
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EU-Vertragsverletzungsverfahren dauern zu lange
- Die Instrumente und Verfahren für die Durchsetzung von EU-Recht werden allmählich besser.
- Zwischen 2012 und 2023 wurden mehr als 9 000 Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.
- Geldstrafen werden nur selten verhängt und wirken nicht immer abschreckend.
Die Europäische Kommission ist bei der Aufdeckung und Behebung von Verstößen gegen das EU-Recht zwar besser geworden, aber es dauert immer noch zu lange, bis die in solchen Fällen eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren abgeschlossen sind. Dies geht aus einem heute veröffentlichten Bericht des Europäischen Rechnungshofs hervor. Zwar würden die Verfahren meist beigelegt, bevor die Kommission finanzielle Sanktionen vorschlagen müsse. Aber es gibt nach Feststellung der EU-Prüfer auch Fälle, in denen EU-Länder jahrelang Strafen gezahlt hätten, anstatt die Verstöße zu beheben.
In den Gründungsverträgen der EU ist festgelegt, dass die EU Gesetze erlassen darf, die für die EU-Länder gelten. Für die Einhaltung dieser Gesetze zu sorgen, erfordert viel Zeit und Aufwand: Zwischen 2012 und 2023 hat die Kommission mehr als 8 000 Petitionen vom EU-Parlament erhalten, darunter auch solche, in denen auf Verstöße gegen das EU-Recht hingewiesen wird. Ferner gab es fast 43 000 Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Interessengruppen. Zusammen mit den von der EU-Kommission selbst aufgedeckten Verstößen führte dies zur Einleitung von mehr als 9 000 Vertragsverletzungsverfahren.
"Die Europäische Kommission hat zwar ihre Methoden zur Aufdeckung und Korrektur von Verstößen gegen das EU-Recht verbessert, es dauert mitunter aber immer noch Jahre, bis diese Verstöße behoben sind", so Lefteris Christoforou, das für die Prüfung zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. "Rechtsverstöße müssen schneller behoben werden, um die Gleichheit und die Einhaltung der gemeinsamen Werte und Grundsätze der EU zu gewährleisten. Den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen werden durch die EU-Gesetze auch Pflichten auferlegt, ihnen sollten aber auch die gemeinsamen Regeln voll und ganz zugutekommen, sodass ihre Grundrechte überall in der EU gewahrt sind."
In den letzten Jahren habe die EU-Kommission mehrere Richtwerte, sogenannte Benchmarks, festgelegt, um Beschwerden und Verstöße schneller abzuwickeln und für eine effizientere Durchsetzung des EU-Rechts zu sorgen. Die Einhaltung dieser Benchmarks habe sich jedoch als schwierig erwiesen. Zwar brauche die Kommission im Vergleich zu 2017 nun weniger Zeit zur Durchführung von Kontrollen der Umsetzung und Einhaltung von EU-Recht (mit diesen soll z. B. sichergestellt werden, dass sämtliche Vorschriften einer EU-Richtlinie korrekt in nationales Recht umgesetzt werden). Bei der Hälfte der Kontrollen seien die Fristen jedoch überschritten worden. Das Gleiche gelte für Beschwerdefälle, deren Prüfung Monate und deren Abschluss sogar Jahre in Anspruch nehmen könne. Außerdem lege die Kommission nicht systematisch detaillierte Informationen zur Anzahl der Petitionen vor, die ihr vom EU-Parlament zugehen. Laut den Prüfern könnten Beschwerden und Petitionen durch die Einführung klarer und einheitlicher Kriterien vordringlich bzw. gebündelt behandelt werden. Darüber hinaus kritisieren die Prüfer, dass Personen, die Beschwerden eingereicht haben, nicht immer über deren Bearbeitungsstand informiert werden.
Bei Durchführung eines EU-Pilotverfahrens – d. h. informellen Gesprächen zwischen der Kommission und den EU-Ländern bei komplexer Sachlage – würde zwar meistens eine Lösung gefunden, die ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren vermeide. Allerdings dauerten auch solche Fälle durchschnittlich länger als zwei Jahre. Auch immer mehr förmliche Vertragsverletzungsverfahren zögen sich zu lange hin, bis eine Entscheidung getroffen werde, sei es über eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs oder über den Abschluss des Falls. Die meisten Fälle würden zwar beigelegt, ohne dass die Kommission zu finanziellen Sanktionen greifen müsse. In einigen Fällen hätten EU-Länder Verstöße jedoch nicht behoben, obwohl sie über mehrere Jahre hinweg Strafen zahlen mussten.
Zwar überwache die EU-Kommission den Stand der Verfahren regelmäßig und erstatte meist auch ordentlich Bericht. Sie informiere jedoch nicht über die Einhaltung ihrer Benchmarks. Auch wenn diese nicht rechtsverbindlich sind, so halten es die Prüfer doch für wichtig, dass die Kommission über die Einhaltung öffentlich gemachter Richtwerte informiert, da dies eine bessere Kontrolle ermögliche.
Hintergrundinformationen
Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, alle erforderlichen nationalen rechtlichen Maßnahmen zur Anwendung des EU-Rechts zu ergreifen. EU-Verordnungen gelten in allen Mitgliedstaaten unmittelbar, EU-Richtlinien hingegen müssen erst in nationales Recht umgesetzt werden. Die Kommission setzt zur Sicherstellung der korrekten Umsetzung und Anwendung des EU-Rechts durch die EU-Länder sowie zur Aufdeckung und Behebung möglicher Verstöße verschiedene Instrumente und Verfahren ein. Greifen die Präventionsmaßnahmen nicht und kommt es zu einem mutmaßlichen Verstoß gegen das EU-Recht (z. B. späte, unvollständige oder nicht ordnungsgemäße Umsetzung), so kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten und den EuGH anrufen. Für die Behebung der Verstöße sind die EU-Länder zuständig.
Der Sonderbericht 28/2024 "Durchsetzung des EU-Rechts: Die Kommission hat die Durchführung von Vertragsverletzungsverfahren verbessert, aber es dauert immer noch zu lange, bis sie abgeschlossen sind" ist auf der Website des Europäischen Rechnungshofs abrufbar.
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