Telematik-Tarife mit Bonus-Malus-Modell auf dem Prüfstand TH Köln veröffentlicht Studie
Telematik-Tarife mit Bonus-Malus-Modell auf dem Prüfstand
TH Köln veröffentlicht Studie
Versicherungen können im Rahmen von Telematik- Tarifen Sensordaten nutzen , um das Fahrverhalten von Versicherten zu bewerten. Wie Autofahrer*innen dieses System wahrnehmen, hat die TH Köln in einer qualitativen Studie untersucht. Die Erkenntnisse werfen Fragen zur Zukunftsfähigkeit von Telematik-Tarifen mit einem Bonus-Malus-Modell auf.
Entscheiden sich Autofahrer*innen für einen Telematik-Tarife, wird eine Sensorbox im Auto montiert, die Geschwindigkeit oder Richtungsänderungen misst. Ein Algorithmus bewertet auf dieser Basis das individuelle Fahrverhalten und ermittelt einen sogenannten Fahrwert, der sich etwa durch hohes Tempo, abrupte Lenkbewegungen oder starkes Beschleunigen und Bremsen verschlechtert. Mit dieser Methode und finanziellen Anreizen möchten Versicherungen erreichen, dass ihre Kund*innen ihre Fahrsicherheit erhöhen und weniger Schäden verursachen.
„Zurzeit sind Telematik-Versicherungstarife in Deutschland ein Nischenprodukt. Mit kontinuierlich steigenden Beiträgen für reguläre Policen könnte sich dies ändern. Aktuell erhalten Kunden für die reine Nutzung des Telematik-Produktes einen Rabatt auf ihren Versicherungsbeitrag. Das ist auch dann der Fall, wenn sie zur Gruppe der riskanten Autofahrenden gehören. Wenn die Prämie jedoch das individuelle Risiko widerspiegeln soll, müssten Autofahrende mit einem guten Fahrwert einen Bonus auf ihre Versicherungsbeiträge erhalten und solche mit einem schlechten Fahrwert einen Malus“, erklärt Prof. Dr. Michaele Völler vom Institut für Versicherungswesen der TH Köln.
Qualitative Studie untersucht Nachteile von Telematik-Tarifen
Um herauszufinden, warum Versicherte die Nutzung von Telematik-Versicherungen mit Bonus-Malus-Modell ablehnen könnten, befragten die Forschenden 19 Autofahrer*innen mit Telematik-Erfahrung. Insgesamt kristallisierten sich sechs Kategorien von wahrgenommenen Nachteilen heraus. „Zu den Faktoren gehören beispielsweise Transparenz und Komplexität. Für Nutzende ist nicht immer klar verständlich, warum der Fahrwert sinkt. Das führt zu Frustration und Ablehnung“, so der Initiator der Studie Prof. Dr. Tim Jannusch.
Eine weitere Hürde liegt in der Akzeptanz der Risikofaktoren: So empfinden es Interviewte als ungerecht, wenn Fahrpraxis und Streckenkenntnis keine relevante Rolle bei der Risikobewertung spielen. Zudem können Telematik-Tarife bestimmte Fahrmanöver wie abruptes Bremsen nicht in einen Kontext setzen, sondern sanktionieren diese pauschal, auch wenn sie etwa dazu gedient haben, einen Unfall zu verhindern. Viele Befragte hätten daher das Gefühl, für Fahrfehler anderer bestraft zu werden. „Dabei scheinen die Befragten auszublenden, dass negative Einzelereignisse wenig Einfluss auf den Fahrwert haben. Wenn solche Fahrmanöver allerdings häufiger vorkommen, ist es ein Indiz, dass der Autofahrende nicht vorausschauend genug fährt, und dann ist eine Verschlechterung des Fahrwerts richtig“, so Völler.
Feedback stellt Selbstbild in Frage
Einige der Studienteilnehmer*innen empfanden das Feedback des Telematik-Systems als Gängelung oder Bestrafung. „Viele Menschen haben ein jahrzehntelang etabliertes, positives Selbstbild als Autofahrende, das durch Unfallfreiheit, steigende Schadenfreiheitsklassen oder Feedback von Mitfahrenden fortlaufend bestätigt wird. Ein niedriger Fahrwert im Telematik-Tarif stellt dies schmerzhaft in Frage. Dabei sind die verwendeten Kriterien korrekt: Wer öfter scharf bremst und zu schnell fährt, hat nach einer Studie des Virginia Tech Transportation Institute statistisch gesehen ein erhöhtes Unfallrisiko, auch wenn solche Manöver im Einzelfall berechtigt sind“, so Jannusch.
Die Befragten kritisierten zudem, dass sie teils angehupt würden, sobald sie ihr Fahrverhalten an die Vorgaben der Telematik anpassen. „Dies führt dazu, dass sie in alte Verhaltensmuster flüchten und im Extremfall sogar illegale Fahrmanöver erwägen könnten. Eine Person sagte uns: ‚Manchmal fahre ich einfach über dunkelgelbe oder rote Ampeln, nur um nicht zu bremsen‘. Ob dies häufiger vorkommt, können wir aufgrund unseres explorativen Vorgehens allerdings nicht bewerten“, berichtet Jannusch. Auch die finanzielle Belastung durch einen Malus, Fragen des Datenschutzes und technische Schwierigkeiten etwa bei der Installation der Sensorbox wurden als problematisch eingestuft.
Grundsätzliche Schwierigkeiten identifiziert
„In seiner jetzigen Form ist das Telematik-System der Aufpasser mit erhobenem Zeigefinger, der Autofahrenden mit riskanten Verhaltensweisen diese permanent spiegelt. Das wird als ungerechte Verletzung des Selbstbildes empfunden und aktuell nur ertragen, weil es eine attraktive finanzielle ‚Entschädigung‘ im Sinne des garantierten Rabatts gibt. Ohne diesen oder sogar mit einem Malus wird es für die Branche schwer, Autofahrende mit schlechtem Fahrwert von der Nutzung eines solchen Systems zu überzeugen“, sagt Jannusch.
Die Erkenntnisse dieser Studie sollen Versicherer dabei unterstützen, Telematik-Tarife zu gestalten, die weniger vorausschauend und riskant fahrende Autofahrende überzeugen. Neben der Erfassung und Verarbeitung von zusätzlichen Kontextinformationen scheint dabei insbesondere ein Umdenken bei der Feedback-Kommunikation relevant.
Über die Studie
Für ihre Untersuchung hatten die Forschenden des Instituts für Versicherungswesen der TH Köln und der irischen University of Limerick Zugriff auf eine Zufallsauswahl von 1.659 Fahrer*innen mit mindestens einem Jahr Telematik-Erfahrung. Mit 19 von ihnen zwischen 30 und 50 Jahren wurden qualitative Interviews geführt. Elf hatten einen guten Fahrwert zwischen 51 und 100 und acht einen schlechten Wert zwischen 0 und 50. Befragt wurden zehn Frauen und neun Männer. Zu Beginn des Interviews erhielten die Befragten die Produktbeschreibung eines Telematik-Tarifs, der sowohl einen Bonus als auch Malus gegenüber der Durchschnittsprämie bringen kann. Neben Prof. Dr. Michaele Völler und Prof. Dr. Tim Jannusch war auch Doktorandin Juliane Ressel vom Institut für Versicherungswesen der TH Köln an der Studie beteiligt. Erhoben wurden die Forschungsdaten im Jahr 2021.
Die Studienergebnisse wurden im August 2024 publiziert unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4906338
Die TH Köln zählt zu den innovativsten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Sie bietet Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland ein inspirierendes Lern-, Arbeits- und Forschungsumfeld in den Sozial-, Kultur-, Gesellschafts-, Ingenieur- und Naturwissenschaften. Zurzeit sind rund 21.100 Studierende in etwa 100 Bachelor- und Masterstudiengängen eingeschrieben. Die TH Köln gestaltet Soziale Innovation – mit diesem Anspruch begegnen wir den Herausforderungen der Gesellschaft. Unser interdisziplinäres Denken und Handeln, unsere regionalen, nationalen und internationalen Aktivitäten machen uns in vielen Bereichen zur geschätzten Kooperationspartnerin und Wegbereiterin.
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