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dpa-Faktencheck

«Vitamin B17» ist kein Vitamin, heilt keinen Krebs und kann sogar zum Tod führen

Berlin (ots)

Auf unzähligen Seiten im Netz wird behauptet, «Vitamin B17» heile Krebs - und sei daher verboten worden. Mit dieser unseriösen Behauptung soll für Alternativen zur Schulmedizin bei der Behandlung von Krebs geworben werden. Zudem wird häufig der Anschein erweckt, entweder Staat oder Pharmaindustrie unterdrückten mutwillig die vermeintlich heilende Wirkung des Stoffes, der in der Bittermandel und in Kernen von Aprikosen und Äpfeln vorkommt.

BEWERTUNG: Der als «Vitamin B17» bezeichnete Stoff ist nicht zur Krebstherapie zugelassen - gerade weil eine heilende Wirkung wissenschaftlich nicht belegt ist. Von der Substanz gehen sogar gesundheitliche Risiken aus. Die Bezeichnung ist irreführend: Der Stoff ist für den Menschen nicht notwendig - und somit kein Vitamin.

FAKTEN: Immer wieder wird behauptet, dass das sogenannte «Vitamin B17» Krebs heilt. Der Stoff ist auch als Laetril oder Laetrile bekannt, was wiederum eine aufbereitete Form von Amygdalin ist. Dieser Stoff kommt zum Beispiel in Aprikosenkernen vor.

Die irreführende Bezeichnung «Vitamin B17» geht auf Ernst Krebs Jr. (1911-1996) zurück. Sein Vater, ein Arzt aus San Francisco, experimentierte in den 1920er Jahren mit Extrakt aus Aprikosenkernen als Krebsmedizin.

Ernst Krebs Jr., der nach Recherchen der US-Faktenchecker «Snopes» selbst weder Arzt noch Wissenschaftler mit Uni-Abschluss war (http://dpaq.de/aErED), behauptete in den 1970er Jahren: Krebs entstehe durch einen Mangel an Laetrilen, die er «Vitamin B17» nannte.

Es handelt sich dabei allerdings nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) um kein echtes Vitamin (http://dpaq.de/r9JDe#page=8): «Da Amygdalin für einen normalen Metabolismus des Menschen nicht notwendig ist, trifft die Bezeichnung von Amygdalin als "Vitamin B17" nicht zu und ist irreführend.»

Die Bezeichnung half mutmaßlich dabei, den Stoff zu vermarkten und strengere Regularien der Medikamentenzulassung zu umgehen (http://dpaq.de/puwKG und http://dpaq.de/jgWlZ).

Eine Krebs heilende Wirkung von Laetrilen konnte bisher wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Die Einnahme kann allerdings zu einer Cyanid- beziehungsweise Blausäure-Vergiftung führen und unter anderem folgende Nebenwirkungen nach sich ziehen: Schwindel, Erbrechen, Kopfschmerzen, Leberschäden, Verwirrung, Koma und sogar Tod (http://dpaq.de/l4YbW).

In Deutschland besteht keine Zulassung für Amygdalin-haltige Produkte als Fertigarzneimittel. Die Einstufung als Rezepturarzneimittel ist umstritten (http://dpaq.de/r9JDe#page=12).

Das BfArM hält Amygdalin für «bedenklich». Es gehört also zu den Arzneimitteln, «bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein (...) vertretbares Maß hinausgehen.» Solche Stoffe dürften nicht in den Verkehr und nicht am Menschen angewendet werden - auch nicht bei ärztlicher Verordnung (http://dpaq.de/r9JDe#page=13).

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) weist auf die Vergiftungsgefahr hin und rät dazu, als Erwachsener nicht mehr als zwei bittere Aprikosenkerne pro Tag zu verzehren oder völlig auf den Verzehr zu verzichten (http://dpaq.de/l4YbW).

In einem Beitrag etwa auf der Seite «krebspatientenadvokat.de» wird eine empfohlene Dosis von bis zu 16 Aprikosenkernen am Tag erwähnt (http://dpaq.de/4VyHJ). Nach BfArM-Angaben finden sich in der Literatur sogar Fälle schleichender Cyanid-Vergiftungen von Menschen, die über Jahre Aprikosenkerne gekaut oder Amygdalin zu sich genommen hatten. Das BfR fordert eine Kennzeichnung von Aprikosenkernen, die auf die Vergiftungsgefahr und die maximale Tagesdosis hinweist.

In den USA ist Laetril als Krebsmedikament oder Heilmittel für andere Krankheiten nicht zugelassen (http://dpaq.de/Vir9C). Ein US-Bundesgesetz verbietet den Handel nicht zugelassener Medikamente über Grenzen von Bundesstaaten hinweg (http://dpaq.de/AXnHc).

Das Thema landete immer wieder vor US-Gerichten. Auf Bundesebene bestätigte der Oberste Gerichtshof 1980 das Verbot, Laetrile über Staatengrenzen hinweg zu transportieren (http://dpaq.de/11Oc5). Nach einem Gerichtsurteil von 1987 ist Laetril generell als nicht zugelassenes Medikament zu behandeln. US-Gerichte sind wiederholt gegen Händler vorgegangen, die den Stoff als Krebsmedikament vertreiben, und haben teilweise lange Gefängnisstrafen verhängt (http://dpaq.de/ZFzNU und http://dpaq.de/WXqjh).

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Links:

Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR): http://dpaq.de/l4YbW

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Deutschland über Amygdalin: http://dpaq.de/r9JDe#page=7

Krebsinformationsdienst über Amygdalin, Laetril und «Vitamin B17»: www.krebsinformationsdienst.de/aktuelles/2014/news95.php

Nationales US-Biotechnologie-Informationscenter NCBI über Laetrile und Amygdalin: http://dpaq.de/Vir9C

Nationales US-Krebszentrum NCI über Laetrile und Amygdalin: http://dpaq.de/lYd7Y, http://dpaq.de/jDaGx

«Deutsche Apothekerzeitung» über «Vitamin B17»: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2012/daz-46-2012/vitamin-b17-bei-krebs

Wissenschaftlicher Artikel über die Geschichte von Laetrilen: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.3322/canjclin.31.2.91

US-Gesetz gegen die Verbreitung nicht autorisierter Medikamente: https://www.law.cornell.edu/uscode/text/21/355

Entscheidung des US-Supreme Court: https://casetext.com/case/rutherford-v-united-states-8

Gerichtsprozesse im Zusammenhang mit Laetrilen: https://www.casewatch.net/board/massage/michaelis.pdf und https://www.federalregister.gov/documents/2010/01/12/2010-289/jason-vale-denial-of-hearing-final-debarment-order

US-Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde FDA über Laetrile: https://www.fda.gov/consumers/health-fraud-scams/illegally-sold-cancer-treatments

FDA-Hinweise an Mitarbeiter: https://www.accessdata.fda.gov/cms_ia/importalert_167.html

«Snopes»-Faktencheck: https://www.snopes.com/fact-check/cancer-vitamin-b17-deficiency/?collection-id=210208 (archiviert: http://dpaq.de/aB9Td)

Artikel auf «krebspatientenadvokat.de»: http://krebspatientenadvokat.de/?p=229 (archiviert: http://dpaq.de/0eYzZ)

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Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com

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