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Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)

Herbstprognose: Osteuropa trotzt Abwärtssog aus Deutschland

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Wien (ots)

Privatkonsum stark, Industrie in Rezession; ukrainische Wirtschaft leidet; Russland wächst 2024 um fast 4%; Nearshoring nur am Westbalkan und in Ungarn; Hauptrisiken Trump und Iran

Trotz des unsicheren internationalen Umfelds präsentiert sich die Konjunktur in den meisten Volkswirtschaften Mittel-, Ost- und Südosteuropas robust. Einige der stark mit der deutschen Industrie verflochtenen Staaten wie Tschechien, die Slowakei und Ungarn, aber auch Rumänien, spüren die Rezession in Deutschland jedoch erheblich. Trotzdem dürfte bei ihnen die Wirtschaft im nächsten Jahr wieder an Fahrt gewinnen. Das zeigt die neue Herbstprognose des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) für 23 Länder der Region. „Haupttreiber des Wachstums in den EU-Mitgliedstaaten Ostmitteleuropas ist und bleibt der private Konsum aufgrund stark steigender Reallöhne, während die Industrie in der Rezession steckt“, resümiert Richard Grieveson, stellvertretender Direktor des wiiw und Hauptautor der Herbstprognose.

„Wir sehen also eine zweigeteilte Entwicklung. Die Krise in Deutschland lastet wie ein Mühlstein auf vielen Volkswirtschaften der Region und begrenzt ihre Wachstumsaussichten“, so Grieveson. Das manifestiert sich auch in der sinkenden Produktion in der Automobilindustrie, deren Exporte etwa in der Slowakei rund ein Drittel der Wirtschaftsleistung ausmachen und auch in Tschechien, Slowenien und Ungarn etwa 15% des BIP entsprechen. Allerdings vollzieht sich dieser Produktionseinbruch zeitverzögert, weshalb hier noch weiteres Ungemach zu erwarten ist.

Unterm Strich prognostiziert das wiiw den EU-Mitgliedern der Region für 2024 ein Wachstum von durchschnittlich 2,2%, eine Revision nach unten um 0,4 Prozentpunkte gegenüber dem Sommer. 2025 sollte es auf 2,9% anziehen. Damit dürften diese Länder sowohl heuer als auch im nächsten Jahr ihren wirtschaftlichen Aufholprozess fortsetzen und das Wachstum der Eurozone (2024: 0,6%; 2025: 1,4%) erneut bei Weitem übertreffen.

Die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn sowie Slowenien werden 2024 im Durchschnitt um 2,3% expandieren und ihr Wachstum 2025 auf 3,1% steigern können. Spitzenreiter beim Wachstum unter den östlichen EU-Mitgliedern ist Polen, und zwar sowohl heuer (3,1%) als auch im nächsten Jahr (3,7%). In Südosteuropa schwächt sich die Konjunktur im bisher florierenden Rumänien auf heuer 2% Zuwachs ab (2025: 2,5%), während Kroatien sowohl dieses (3,3%) als auch nächstes Jahr (3,0%) vergleichsweise kräftig zulegen sollte. Die sechs Staaten am Westbalkan werden sowohl 2024 als auch 2025 im Schnitt um 3,4% expandieren, die Türkei 2024 um 3,4% und 2025 um 4,0%.

Die schwer vom Krieg getroffene Ukraine dürfte 2024 um 2,7% und 2025 um 3,3% wachsen, wobei natürlich viel vom weiteren Kriegsverlauf abhängt. Für den Aggressor Russland gab es gegenüber dem Sommer eine weitere Revision nach oben um 0,6 Prozentpunkte auf nunmehr 3,8% für 2024. Damit dürfte das mittlerweile stark auf Kriegswirtschaft ausgerichtete Land heuer noch stärker expandieren als 2023 (3,6%), aber seinen ökonomischen Zenit überschreiten, da sich im nächsten Jahr das Wachstum voraussichtlich auf 2,5% abschwächen wird.

Iran-Israel-Krieg und Donald Trump als Hauptrisiken

Die allergrößten Risiken für die Prognose sind geopolitischer Natur. „Sollte es zu einem direkten Krieg zwischen Israel und dem Iran kommen, hätte dieser katastrophale Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und damit auch auf die Region“, sagt Richard Grieveson. „Die Ölpreise würden wohl durch die Decke gehen, auch der globale Handel und viele Lieferketten könnten massiv leiden.“ Dazu kommt das mit zahlreichen Risiken behaftete Szenario einer US-Präsidentschaft von Donald Trump. Sollte Trump gewählt werden und seine Ankündigungen wahr machen, könnten die USA ihren Handelskrieg gegen China intensivieren und auch einen gegen die EU vom Zaun brechen. „Höhere Zölle wären natürlich Gift für die stark exportorientierte Industrie in West- wie Osteuropa. Auch die Ansiedelung von Betrieben könnte darunter leiden“, so Grieveson.

Nearshoring bisher nur am Westbalkan und in Ungarn

In diesem Zusammenhang hat sich das wiiw auch das aktuell vieldiskutierte Thema Nearshoring angesehen. Die Verlagerung oder der Aufbau von Produktionsstätten oder Aktivitäten in der Nähe der EU-Kernländer zur Minimierung von Risiken kann aber nur am Westbalkan und in Ungarn empirisch belegt werden. „Nearshoring findet außer in Ungarn bisher hauptsächlich in Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Nordmazedonien statt. In Albanien und Serbien gibt es ebenfalls einige Beispiele. Andernorts steht dem wohl auch der allgegenwärtige Arbeitskräftemangel im Weg“, konstatiert Branimir Jovanović, Ökonom am wiiw und Co-Autor der Herbstprognose.

Ukrainische Wirtschaft vom Krieg gezeichnet

Nach Kriegsende könnte unter Umständen auch die Ukraine ein lohnendes Ziel für Nearshoring werden. Bis dahin bleibt sie aber gezeichnet vom russischen Angriffskrieg gegen das Land. Die systematische Zerstörung der Energieinfrastruktur und sinkende Agrarexporte aufgrund einer Dürre im Sommer belasten die Wirtschaft. Dazu kommt ein um sich greifender Fachkräftemangel durch die Mobilisierung zusätzlicher Soldaten. Trotz allem rechnet das wiiw für 2024 mit einem Wachstum von 2,7% und im kommenden Jahr von noch 3,3% - eine Revision nach unten um 0,7 Prozentpunkte für 2025. „Im heurigen Winter könnte der Ukraine rund ein Drittel des benötigten Stroms fehlen. Das stellt nicht nur ein humanitäres Problem dar, sondern beeinträchtigt auch die Wirtschaft enorm“, sagt Olga Pindyuk, Ukraine-Expertin des wiiw.

Auch die budgetäre Situation ist angesichts der enormen Ausgaben für den Krieg äußerst angespannt. Das Budgetdefizit wird 2025 bei 35 Milliarden US-Dollar oder rund 16% des BIP zu liegen kommen. Davon sind 15 Milliarden noch weitgehend ungedeckt. Trotz einer erfolgreichen Restrukturierung der Auslandsschulden im August dürfte das Land in den kommenden Jahren jährlich rund 6% des BIP für den Schuldendienst aufwenden müssen. „Sollten vorläufige Zusagen ausländischer Geber nicht eingehalten werden oder sich westliche Waffenlieferungen verzögern, könnte das Budgetloch schnell noch größer werden“, zeigt sich Pindyuk besorgt.

Russland mit höchstem Wachstum seit Ukraine-Invasion

Getrieben vom Stimulus der hohen Staatsausgaben für den Krieg, boomen Teile der russischen Wirtschaft dagegen nach wie vor. Im Vergleich zum Sommer hebt das wiiw seine Konjunkturprognose für 2024 nochmals um 0,6 Prozentpunkte auf nunmehr 3,8% an. Für 2025 rechnet es aber mit einer Verlangsamung des Wachstums auf 2,5%. Vor allem die geldpolitische Vollbremsung der Notenbank (aktueller Leitzinssatz 19%) wird im nächsten Jahr die Wirtschaft abkühlen.

Trotz hoher Militär- und Rüstungsausgaben, die sich in den nächsten Jahren bei rund 6% der Wirtschaftsleistung einpendeln dürften, bleibt das Budgetdefizit im Rahmen. 2024 wird es voraussichtlich 1,5% des BIP betragen und 2025 auf 1% sinken. „Putin wird auf absehbare Zeit also genug Mittel zur Verfügung haben, um den Krieg gegen die Ukraine weiter zu finanzieren“, sagt Vasily Astrov, Russland-Experte des wiiw. „Dabei kommt ihm auch zugute, dass die Staatseinnahmen unter anderem durch eine Erhöhung der Einkommens- und Unternehmenssteuern ab 2025 weniger abhängig von den sanktionsanfälligen Energieexporten sein werden“, so Astrov.

Bemerkbar machen sich aber die von den USA angedrohten Sanktionen gegen Banken in Drittstaaten wie China, der Türkei oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Russland bisher bei der Umgehung der Sanktionen behilflich waren. So sanken die russischen Warenimporte in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres um rund 8%. „Das hat primär damit zu tun, dass diese Banken die Zahlungsabwicklung für Importe immer öfter verzögern oder verweigern. Russland arbeitet zwar an Alternativen wie der Gründung von Tochtergesellschaften russischer Banken in China, ist aber zum Teil auch auf Tauschgeschäfte angewiesen“, erklärt Astrov.

Pressekontakt:

Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)
Mag. Andreas Knapp
Telefon: +43 680 1342 785
E-Mail: knapp@wiiw.ac.at

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