Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)
Winterprognose: Osteuropa wächst 2025 trotz Trump stärker
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Wien (ots)
Wachstumstreiber Privatkonsum, Industrie schwach; Trump verunsichert; Ukraine in Gefahr (BIP-Wachstum 2025: 3%); Russland wächst schwächer (1,8%); Polen stark; Deutschland belastet
Auch wenn der Amtsantritt von Donald Trump für große Unsicherheit sorgt und das internationale Umfeld schwierig bleibt, dürfte das Wachstum in den meisten Volkswirtschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa 2025 an Fahrt gewinnen - insbesondere in den EU-Mitgliedern. Das zeigt die neue Winterprognose des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) für 23 Länder der Region. „Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Trump nicht sofort hohe Zölle gegen die EU verhängt und Putin in der Ukraine keinen leichten Sieg ermöglicht, indem er das Land fallen lässt“, sagt Richard Grieveson, stellvertretender Direktor des wiiw und Hauptautor der Winterprognose. „Wir gehen von diesem Szenario aus.“
Für 2025 prognostiziert das wiiw den EU-Mitgliedern der Region ein Wachstum von durchschnittlich 2,8%, eine minimale Revision nach unten um 0,1 Prozentpunkte gegenüber dem Herbst. Auch 2026 sollte es mit 2,7% ähnlich hoch ausfallen, was ebenfalls eine leichte Berichtigung nach unten um 0,3 Prozentpunkte bedeutet. Damit dürften die EU-Mitglieder in Ostmittel- und Südosteuropa sowohl heuer als auch im nächsten Jahr etwa doppelt so stark wachsen wie die Eurozone (2025: 1,2%; 2026: 1,4%) und ihren ökonomischen Aufholprozess fortsetzen.
Polen wächst stark
Zwar kämpft die stark mit Deutschland verflochtene Industrie in wichtigen Staaten wie Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn oder Rumänien mit der industriellen Rezession in der Bundesrepublik. Getrieben wird ihr Wachstum allerdings nach wie vor vom starken Privatkonsum infolge kräftiger Reallohnsteigerungen. „Die Leute geben das zusätzlich verfügbare Einkommen auch wieder aus, was die Konjunktur anziehen lässt“, erklärt Grieveson. Spitzenreiter beim Wachstum unter den östlichen EU-Mitgliedern ist Polen, und zwar sowohl heuer (3,5%) als auch im nächsten Jahr (3,0%), dicht gefolgt von Kroatien (2025: 3,1%; 2026: 3,0%). Die sechs Staaten am Westbalkan werden 2025 und 2026 vergleichsweise kräftig um durchschnittlich 3,5% expandieren, die Türkei 2025 ebenfalls um 3,5% und 2026 um 4,5%.
Die Aussichten für die kriegsgeplagte Ukraine trüben sich etwas ein. Für 2025 prognostiziert das wiiw ein Wachstum von 3%, eine Revision nach unten um 0,3 Prozentpunkte, wobei natürlich sehr viel von der Ukraine-Politik Trumps abhängen wird. Bei Aggressor Russland dürfte sich das starke Wachstum im vergangenen Jahr (3,8%) auf heuer nur noch 1,8% halbieren. Selbiges gilt für das autokratisch regierte Belarus unter Präsident Alexander Lukaschenko, das eng mit der russischen Kriegswirtschaft verflochten ist und 2025 nur noch um 2% wachsen dürfte, nach einem Wachstum von 4% im vergangenen Jahr.
Trump unchained als Hauptunsicherheitsfaktor
Das größte Abwärtsrisiko besteht in einer entfesselten Politik von Donald Trump. „Da die USA im letzten Jahrzehnt zum mit Abstand wichtigsten Exportmarkt für die EU avanciert sind, wären die negativen Auswirkungen hoher US-Zölle auf europäische Waren und Dienstleistungen auch für die osteuropäischen Mitglieder erheblich und relativ bald spürbar“, meint Richard Grieveson. Die direkten Handelsströme zwischen der Region und Amerika sind zwar überschaubar. Aber über eine geringere US-Nachfrage nach europäischen Industrieprodukten und weniger Investitionen könnte Ostmitteleuropa stark in Mitleidenschaft gezogen werden.
Dazu kommt Trumps unberechenbare Ukraine-Politik, die die Wirtschaft der Region hart treffen könnte. „Sollte die Ukraine keine Hilfe mehr aus Washington erhalten und militärisch besiegt werden, würde dies das Image des Westens stark beschädigen, die NATO demoralisieren und diskreditieren, und Putin dazu ermutigen, die Beistandspflicht des Bündnisses zu testen. Eine große Flüchtlingswelle aus der Ukraine in die ganze EU wäre wohl die Folge, außerdem stünde ein starker Anstieg der weltweiten Lebensmittelpreise zu befürchten, der zu sozialen und politischen Unruhen führen könnte“, warnt Grieveson.
Ukrainische Wirtschaft im Ungewissen
Obwohl das wiiw nicht von diesem Negativszenario ausgeht und die Wirtschaft der Ukraine bisher eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit an den Tag gelegt hat, erscheinen die wirtschaftlichen Aussichten zunehmend ungewiss. Für 2025 prognostiziert das wiiw dem Land ein Wachstum von 3%, eine Revision nach unten um 0,3 Prozentpunkte gegenüber dem Herbst. Die Ukraine leidet zunehmend unter der systematischen Zerstörung ihrer Energieinfrastruktur durch russische Luftangriffe und einem sich zuspitzenden Arbeitskräftemangel. Die Dürre im vergangenen Sommer hat zudem die Agrarexporte sinken und die Lebensmittelpreise ansteigen lassen.
Um die steigende Inflation zu bekämpfen, hat die Notenbank die Lockerung der Geldpolitik ausgesetzt und die Leitzinsen auf 14,5% angehoben. Die Straffung der Gelpolitik dürfte das Wirtschaftswachstum weiter dämpfen. 2026 sollte es zwar auf 5% anziehen. „Wenn Donald Trump die Ukraine aber zu einem Diktatfrieden ohne glaubhafte Sicherheitsgarantien zwingt und die finanzielle und militärische Unterstützung markant zurückfährt, wird das die Konjunkturaussichten eintrüben und Investoren abschrecken“, sagt Olga Pindyuk, Ukraine-Expertin des wiiw.
Wachstumseinbruch in Russland
Nachdem der Rüstungsboom durch den Krieg der russischen Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahren starke Zuwachsraten von 3,6% (2023) und 3,8% (2024) beschert hat, dürfte sich das Wachstum in Russland 2025 auf nur noch 1,8% halbieren. 2026 wird es sich weiter verlangsamen (1,6%). Hauptverantwortlich dafür ist die geldpolitische Vollbremsung der Notenbank. Aufgrund der stark gestiegenen Inflation - sie lag Ende 2024 bei 9,5% und wird vom starken Reallohnwachstum und sanktionsbedingt teureren Importen befeuert - sah sich die Zentralbank dazu gezwungen, den Leitzins auf beachtliche 21% anzuheben. „Die hohen Zinsen machen Kredite für die meisten Unternehmen und Konsumenten unerschwinglich, bieten einen großen Anreiz, Geld auf Bankkonten zu horten, und würgen so die Wirtschaft ab“, analysiert Vasily Astrov, Russland-Experte des wiiw. „Zudem droht der russischen Wirtschaft eine Pleitewelle bei Unternehmen, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können.“
Negativ wirken sich auch die sinkenden Energieeinnahmen durch scharfe neue US-Sanktionen gegen zwei wichtige Erdölfirmen und die russische Schattenflotte aus, mit der das Rohöl vor allem nach China und Indien exportiert wird. „Gesamtwirtschaftlich betrachtet dürfte ihr Effekt aber eher gering sein, weil sich mittelfristig wieder Wege finden werden, auch diese Sanktionen zu umgehen“, sagt Astrov. Wenig erfolgversprechend ist aus seiner Sicht die Ankündigung von Trump, die russischen Exporte in die USA mit Zöllen und Sanktionen zu belegen, sollte Putin im Ukraine-Krieg nicht einlenken. „Die russischen Ausfuhren in die USA machen nur rund 1% der Gesamtexporte Russlands aus und umfassen vor allem kritische Rohstoffe wie Palladium, Rhodium und Uran. Strafmaßnahmen dagegen werden Putin wohl kaum an den Verhandlungstisch bringen“, meint Astrov.
Wirkliches Ungemach droht der russischen Wirtschaft aber bei einem Ende des Ukraine-Krieges. 2025 fließen laut Zahlen der russischen Regierung mehr als 6% des BIP in Rüstung und Militär. „Die russische Volkswirtschaft hängt an den hohen Staatsausgaben für den Krieg mittlerweile wie an einer Droge. Sollte sie eines Tages reduziert oder abgesetzt werden, droht ihr ein veritabler Nachfrageschock, der sie in eine tiefe Krise stürzen könnte“, so Astrov.
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