Bahá'í-Gemeinde in Deutschland K.d.ö.R.
Werden Versprechen die bittere Realität verändern: Irans Präsident Pezeshkian spricht vor den Vereinten Nationen inmitten der eskalierenden Verfolgung der Bahá'í
Berlin (ots)
Der neue iranische Präsident Masoud Pezeshkian reitet bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York auf der Welle seiner Versprechen und Appelle, die er in den letzten Monaten an das iranische Volk gerichtet hat.
Die iranische Zivilisation sei ein "wertvolles Erbe", sagte er während des Präsidentschaftswahlkampfes im Sommer, aber das Land habe "mit großen Herausforderungen und Problemen zu kämpfen", und "die Öffnung dieser Knoten und die Lösung der Probleme, mit denen das Land konfrontiert ist, ist nur möglich, wenn jeder einzelne Bürger des Irans mitarbeitet und sich beteiligt".
Dr. Pezeshkian versprach ausdrücklich, dass seine Regierung die Rechte der ethnischen und religiösen Minderheiten des Irans respektieren werde. Erst vor einer Woche, am 16. September, sagte Dr. Pezeshkian auf einer Pressekonferenz in Teheran, dass "jeder, der in diesem Land lebt, das Recht hat, auf der Grundlage seiner Fähigkeiten die Stellung einzunehmen, die er verdient (...). Man darr nicht beleidigen, was jemand anbetet, man darf einen Glauben nicht missachten und ignorieren. Gegenseitiger Respekt und Dialog sind die Schlüsselprinzipien der Entwicklung".
Der Präsident sagte auch: "Die Menschen gleichen den Zähnen eines Kammes. Es gibt keinen Unterschied zwischen einer Ethnie und einer anderen."
Doch die Kluft zwischen Rhetorik und Realität ist in der Islamischen Republik so groß wie eh und je - vor allem, was die Verfolgung der Bahá'í betrifft.
"Wir würden die Äußerungen von Präsident Pezeshkian gerne mit Zuversicht betrachten, aber angesichts früherer und aktueller Erfahrungen achten wir mehr auf seine Taten als auf seine Worte", sagt Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá'í-Gemeinde in Deutschland.
"Die Versprechen wurden noch nicht in die Tat umgesetzt, und die Beweise für die andauernde und zunehmende Verfolgung sind zu groß, um sie zu ignorieren", fügt Noltenius hinzu. "Jeder vorangegangene iranische Präsident hat ähnliche Versprechungen über eine gleichberechtigtere Gesellschaft im Iran gemacht, aber die Bahá'í in diesem Land sehen sich unabhängig von der jeweiligen Regierung der gleichen allgegenwärtigen Verfolgung von der Wiege bis ins Grab ausgesetzt. Die iranische Regierung versucht, die Bahá'í- Gemeinde als lebensfähige Einheit im Land auszulöschen. Sie diskriminiert die Bahá'í in ihrer Verfassung und in allen wesentlichen Gesetzen und Richtlinien und hat offizielle Regierungsverordnungen erlassen, die sich speziell mit der "Bahá'í-Frage" befassen. Die Aufgabe von Dr. Pezeshkian wird darin bestehen, die vielen Hindernisse zu beseitigen, die die Bahá'í daran hindern, im Iran als gleichberechtigte Bürger zu leben."
Die Worte des Präsidenten stehen in krassem Gegensatz zu den jüngsten Angriffen auf Bahá'í im Iran in den letzten Wochen.
- Dr. Pezeshkians Worte: Die Beziehungen zwischen Iranern "verschiedener Ethnien und Religionen durch kulturelle und künstlerische Dialoge" sollten "gestärkt werden."
- Die Realität: Im August nahm ein seit langem andauernder und zutiefst ungerechter Fall von zehn Bahá'í-Frauen in Isfahan eine neue Wendung, als die Frauen vor einem Revolutionsgericht erschienen und der "Förderung des Bahá'í-Glaubens" beschuldigt wurden, nachdem sie in der Stadt Kurse für Englisch, Musik, Yoga und Malerei für Jugendliche, Kinder und afghanische Migranten angeboten hatten. Die Anklagen gehen auf private Beschwerden von Nachbarn dieser Bahá'í zurück, die von Regierungsbeamten mit Drohanrufen und Gerichtsvorladungen genötigt wurden. Die 10 Frauen sind bereits für schuldig erklärt worden, obwohl das Verfahren noch andauert.
- Dr. Pezeshkians Worte: "Das Konzept des freien Denkens bedeutet nicht, dass [eine Person] von der Universität verwiesen oder von [ihrem] Arbeitsplatz gefeuert werden sollte. Wir müssen unsere Köpfe öffnen, damit wir zusammenkommen können."
- Die Realität: Tausende von Bahá'í-Jugendlichen werden seit mehr als vier Jahrzehnten grausam und systematisch von iranischen Universitäten ausgeschlossen oder vertrieben, darunter auch die jüngste Gruppe von angehenden Bahá'í-Studenten im vergangenen Monat. In den letzten zwei Monaten wurden die Bahá'í von einem technischen Studiengang an der Shahid Beheshti Universität in Teheran ausgeschlossen. Dies ist eine Fortsetzung der Politik der iranischen Regierung, alle Bahá'í von der Hochschulbildung auszuschließen. Allein in diesem Sommer erfuhr die Internationale Bahá'í-Gemeinde, dass zwei Musiklehrer in der Stadt Qaemshahr von ihrem Arbeitsplatz verwiesen wurden, nachdem das Geheimdienstministerium, das Präsident Pezeshkian untersteht, deren Arbeitgeber bedroht hatte. Ein Bahá'í-Geschäftsinhaber in Shiraz wurde ebenfalls von Sicherheitskräften bedroht, nachdem er seinen Sanitärhandel an Bahá'í-Feiertagen geschlossen hatte. Außerdem wurden zahlreiche Häuser von Bahá'í in Kerman und Shiraz durchsucht und Eigentum beschlagnahmt.
- Dr. Pezeshkians Worte: Die iranische Regierung und das iranische Volk sollten "maximale Anstrengungen zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit" und des "Bürgerstatus" von "ethnischen Gruppen und Religionen" unternehmen.
- Die Realität: Im vergangenen Monat wurden mehrere Bahá'í verhaftet, ihren Familien wurden Informationen über den Aufenthaltsort oder das Wohlergehen ihrer Angehörigen verweigert, und kleine Kinder wurden von ihren Müttern getrennt. Die Wohnung einer Mutter in Shiraz wurde durchsucht und sie wurde sogar im Beisein ihres zweijährigen Kindes verhaftet. Eine zweite Mutter eines vierjährigen Kindes in Tabriz wurde verhaftet, obwohl ihr Vater auf der Intensivstation im Krankenhaus lag. Ein Bahá'í, dessen Bruder vor kurzem verstorben war, wurde verhaftet und inhaftiert, obwohl seine Familie darum gebeten hatte, mit der Verhaftung zumindest bis nach der Beerdigung zu warten. Zwei Bahá'í-Frauen, eine in Fardis und eine in Urmia, wurden von Geheimdienstagenten verhaftet; die Habseligkeiten der einen wurden beschlagnahmt, der anderen wurde die Kaution verweigert, und beide bleiben ohne ordentliches Verfahren im Gefängnis.
- Dr. Pezeshkians Worte: Die "Bürgerrechte" der Iraner sollten beachtet werden, nicht ihre "sprachlichen und religiösen Unterschiede ".
- Die Realität: Die Internationale Bahá'í-Gemeinde hat mit einem Brandanschlag unbekannter Angreifer auf einen Bahá'í-Friedhof in Ahvaz sowie mit Spannungen in Kashan wegen der Beerdigung eines Bahá'í-Einwohners mit Besorgnis neue Beispiele für die anhaltenden Bemühungen der iranischen Regierung zur Kenntnis genommen, den Iran von der Geschichte und Identität der Bahá'í zu "säubern". Der Teheraner Bahá'í-Friedhof wird seit Jahren von Agenten des Geheimdienstministeriums für Bahá'í gesperrt, die verstorbene Bahá'í ohne ordnungsgemäße Bestattungsrituale und gegen das Wissen ihrer Familien auf Massengräbern beigesetzt haben, in denen in den 1980er Jahren Tausende von politischen Gefangenen bestattet wurden.
- Dr. Pezeshkians Worte: "Es ist ein Gebot Gottes, das besagt, dass man so handeln soll, dass man alle Ideen hören und der besten folgen kann. Das ist im Dialog möglich. Es bedeutet nicht, dass wir darauf bestehen und sagen sollten: 'Das haben wir gesagt, und ihr habt kein Recht zu sprechen.'"
- Die Realität: Die Gefängnisbehörden des Teheraner Evin-Gefängnisses haben der international anerkannten Bahá'í Mahvash Sabet sämtliche Telefonanrufe und Familienbesuche verweigert. Frau Sabet ist eine von sieben ehemaligen Bahá'í-Führungspersönlichkeiten im Iran, die zwischen 2008 und 2018 inhaftiert waren und sich nun im dritten Jahr einer erneuten 10-jährigen Haftstrafe befinden. Die ehemalige Lehrerin ist auch eine international anerkannte Dichterin, die 2017 den PEN International Writer of Courage Award für ihr Buch Gefängnisgedichte erhielt.
"Die iranische Regierung sollte die Menschenrechte achten und alle Menschen vor dem Gesetz gleichstellen", so Noltenius. "Damit die Taten von Präsident Pezeshkian diese Forderung erfüllen und seinen Worten entsprechen, müssen er und seine Kollegen die Rechte der Bahá'í, anderer religiöser und ethnischer Minderheiten, der Frauen und aller Menschen, die unter der Obhut seiner Regierung stehen, respektieren."
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Jascha Noltenius
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