Druckchemikalien in Getränkekartons: Kartell des Schweigens und Vertuschens
Berlin (ots)
Deutsche Umwelthilfe beklagt unzureichende Informationen über Chemiekaliencocktail in Getränkekartons - Verbraucherschutzministerium und betroffene Unternehmen spielen trotz der Erfahrungen mit der Druckchemikalie ITX erneut mit der Gesundheit der Verbraucher - DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch warnt vor Gesundheitsgefahren und fordert von Verbraucherministerin Aigner (CSU) und Unternehmen Offenlegung und toxikologische Bewertung der eingesetzten Chemikalien
In Getränkekartons verpackte Lebensmittel und Säfte können nach wie vor mit unterschiedlichen Druckchemikalien belastet sein, die aus den Aufdrucken der Verpackungen stammen. Um welche Chemikalien es sich im Einzelnen handelt, in welchen Konzentrationen sie auftreten, ob und in welcher Weise sie die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten gefährden und in welchen Lebensmitteln sie auftreten, versucht die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) bereits seit Monaten auf Grundlage des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) herauszufinden. Bisher allerdings ohne durchschlagenden Erfolg.
Zwar hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) bereits im Juni 2009 auf entsprechende Anfragen schriftlich mitgeteilt, dass im Rahmen der amtlichen Überwachung durch die Bundesländer insgesamt neun unterschiedliche so genannte Photoinitiatoren in Lebensmitteln festgestellt worden seien. Nur für zwei der neun Druckchemikalien (Benzophenon und 4-Methylbenzophenon) verfüge das BMELV jedoch über Daten zur Giftigkeit und Risikobewertungen der zuständigen Behörden. Unter Verweis auf die mögliche Verletzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der betroffenen Unternehmen lehnte das BMELV bislang Antworten auf konkrete Nachfragen der DUH ab - beispielsweise nach den auffälligen Produkten, der Höhe der Belastungen oder möglicherweise ergriffenen Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Kontaminationen.
Die marktführenden Getränkekartonhersteller Tetra Pak und Elopak verweigerten wiederholt jede Auskunft zu den Produktionsverfahren als auch zu den derzeit eingesetzten Druckchemikalien und ihrer Toxizität. Zuletzt teilten die Unternehmen Anfang Oktober in gleichlautenden Schreiben an die DUH lediglich mit, die Photoinitiatoren würden in Übereinstimmung mit EU-Vorschriften eingesetzt. Eine Überprüfung dieser Behauptung wird aber dadurch unmöglich gemacht, dass die eingesetzten Chemikalien nicht offengelegt werden. Nach Artikel 3 der EU-Rahmen¬verordnung 1935/2004/EC für Materialien im Kontakt mit Lebensmitteln müssen Produkte nach guter Herstellungspraxis so hergestellt und verpackt werden, dass keine Bestandteile in die Produkte gelangen, die die menschliche Gesundheit gefährden. Da letzteres bei den behördlich festgestellten Belastungen aufgrund der mangelhaften Datenlage nicht bekannt ist, wird die EU-Verordnung nach Überzeugung der DUH gerade nicht eingehalten.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sieht angesichts der verweigerten Daten eine erhebliche Unsicherheit für Verbraucher und Verbraucherinnen bei Getränkekarton-Produkten der Firmen Tetra Pak und Elopak, solange die mögliche Belastung mit problematischen Chemikalien nicht bekannt gemacht wird. Das Verbraucherschutzministerium setze - wie seinerzeit bei der Druckchemikalie Isopropylthioxanthon (ITX) - die Informationsverweigerung um die Veröffentlichung von Verunreinigungen von Kartonsäften erneut in enger Abstimmung mit der verantwortlichen Industrie fort. Im Fall von ITX hatte es fünf Gerichtsurteile bis hin zum Bundesverwaltungsgericht und mehr als drei Jahre gebraucht, um das Ministerium zu zwingen, die dort vorliegenden Informationen der DUH auszuhändigen. Zu diesem Zeitpunkt waren die kontaminierten Säfte längst durch die Kehlen der Verbraucher vollständig entsorgt.
Resch: "Ilse Aigner setzt konsequent die Politik fort, die Industrie vor den Verbrauchern zu schützen. Weder Regierung noch die Getränkekartonhersteller Tetra Pak und Elopak haben aus ihrer Niederlage vor den Gerichten im Fall ITX etwas gelernt. Das Kartell des Schweigens formiert sich erneut." Es bleibe abzuwarten, ob die DUH erneut die Gerichte bemühen müsse oder ob das Verbraucherschutzministerium dieses Mal seiner vornehmsten Aufgabe, die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen, ohne Nachhilfe nachkomme.
Nach den detaillierten Nachfragen der DUH hat das BMELV die betroffenen Unternehmen inzwischen um schriftliche Stellungnahmen zur möglichen Weitergabe der vorliegenden Informationen an die DUH gebeten. "Angesichts des bisherigen Informationsgebarens der Hersteller wäre eine Zustimmung zur Weitergabe der Informationen zu den Chemikalienbelastungen, gelinde gesagt, etwas überraschend. Doch die Gerichte haben zwischenzeitlich mehrfach entschieden, dass Informationen über die Verunreinigung von Lebensmittel ausdrücklich keine Betriebsgeheimnisse darstellen", kommentierte die Leiterin Kreislaufwirtschaft bei der DUH, Maria Elander, den Stand des Verfahrens. Es gehe hier nicht um eine Bitte der DUH, sondern um das im Verbraucherinformationsgesetz jedem Bundesbürger zugesicherte Informationsrecht. Elander: "Wir erleben erneut Verzögerungen, während in der Zwischenzeit mutmaßlich belastete Produkte weiterverkauft werden, von denen die Verbraucher nicht das Geringste ahnen".
Für die laufende Anfrage der DUH hat das BMELV die Erhebung von Gebühren angekündigt. Sie können nach dem VIG dann erhoben werden, wenn das Ministerium zu der Auffassung gelangt, dass eine Anfrage nicht im öffentlichen Interesse sei. Elander: Noch vor der Entscheidung über die Erteilung der eigentlichen Auskunft wird so die Überzeugung des Ministeriums kund getan, dass Informationen über Chemikalienbelastungen in Lebensmitteln nicht von öffentlichem Interesse sind".
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat auf Anfrage der DUH bestätigt, dass die Behörde noch immer über "keine Informationen zu aktuell in Druckfarben für Getränkekartons verwendete Stoffen" verfüge. Die Bewertung dieser Situation durch das BfR ist - im Gegensatz zu der des Aigner-Ministerium ausgesprochen klar: Grundsätzlich halte das BfR den Einsatz von Photoinitiatoren, für die keine oder keine ausreichenden toxikologischen Daten zur Verfügung stehen, für "nicht sachgerecht".
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