Prüfung der Klimawirkung von Nord Stream 2 abgelehnt: Deutsche Umwelthilfe kündigt weitere rechtliche Schritte an, um klimapolitischen Blindflug zu stoppen
Berlin / Greifswald (ots)
- Oberverwaltungsgericht Greifswald weist Klage der DUH nach intensivem Verhandlungstag ab
- Im Zuge der heutigen mündlichen Verhandlung hat die Nord Stream 2 AG einen Vorschlag des Gerichts auf eine einvernehmliche Einigung abgelehnt
- Methan-Emissionen und Klimawirkung des größten fossilen Projekts Europas bleiben damit weiter ungeprüft
- DUH kündigt weitere rechtliche Schritte gegen Bau- und Betriebsgenehmigung von Nord Stream 2 an
Die Klimawirkung des größten fossilen Projekts Europas bleibt weiter ungeprüft. Eine entsprechende Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Greifswald heute zurückgewiesen. Mit der Klage gegen das Bergamt Stralsund als eine der zuständigen Genehmigungsbehörden wollte die DUH eine Überprüfung der Bau- und Betriebsgenehmigung erreichen. Dies ist aus Sicht der Umweltorganisation erforderlich, weil nach der Genehmigung der Pipeline neue Erkenntnisse über Umfang und Wirkung von Methan-Emissionen aus der Erdgas-Lieferkette bekannt wurden. Dies hat im bisherigen Genehmigungsverfahren gar keine Rolle gespielt. Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas und extrem klimaschädlich.
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: "Das heutige Urteil ist ein Rückschlag für den Klimaschutz. Nord Stream 2 steht für mehr als 100 Millionen Tonnen CO2 jährlich. Hinzu kommen extrem klimaschädliche Methan-Emissionen aus Förderung, Verarbeitung und Transport von Erdgas in unbekanntem Ausmaß. Was dies für die Erreichung unserer Klimaziele bedeutet, darf nicht länger im Dunkeln bleiben. Wir werden weiter alle rechtlichen Schritte ergreifen, um die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu verhindern und diesen klimapolitischen Blindflug zu stoppen. Die Ampel-Parteien fordern wir auf, die Inbetriebnahme der Pipeline zu stoppen und das derzeit laufende Verfahren zur Zertifizierung der Pipeline auszusetzen, solange die Klimafolgen nicht geklärt sind."
Zurückgewiesen hat das OVG Greifswald die Klage nach einer langen und intensiven Verhandlung. Im Zuge der Verhandlungen hatte das Gericht der DUH sowie der Nord Stream 2 AG einen Vorschlag für eine einvernehmliche Einigung unterbreitet: Demnach sollte die Nord Stream 2 AG eine unabhängige Überprüfung der Methan-Emissionen zulassen. Dies lehnte der Anwalt des Unternehmens jedoch ab, während sich die DUH auf diesen Vorschlag eingelassen hätte.
Sascha Müller-Kraenner: "Die Ablehnung des Vorschlags zeigt, dass der Nord Stream 2 AG nicht an Transparenz und Aufklärung in Sachen Klimawirkung gelegen ist. Offenbar traut sich das Unternehmen nicht, mit offenen Karten zu spielen. Das ist schade, denn die Klimawirkung der Methan-Emissionen ist ganz entscheidend für die Klimabilanz des Projektes."
Die DUH ist auch weiter der Überzeugung, dass Bau und Betrieb von Nord Stream 2 dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021 widersprechen. Die Nutzung von Erdgas auszuweiten ist unvereinbar mit dem 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimaabkommens und gefährdet die Grundrechte der jungen Generation.
Cornelia Ziehm, Rechtsanwältin: "Das Klimaschutzgebot aus Artikel 20a des Grundgesetzes bindet alle staatliche Gewalt, also Exekutive und Judikative genauso wie den Gesetzgeber. Das Bundesverfassungsgericht hat überdies unmissverständlich klargestellt, dass dem verfassungsrechtlich verankerten Klimaschutzgebot zwingend auch eine internationale Komponente immanent ist, das heißt, eine allein nationale Betrachtungsweise der Klimaauswirkungen eines Projektes kommt nicht länger in Betracht. Deutschland ist vielmehr mit dem Betrieb von Nord Stream 2 für die in Russland freigesetzten Methanemissionen unmittelbar verantwortlich. Mit der heutigen Entscheidung ist es versäumt worden, diese rechtlichen Anforderungen in die Praxis umzusetzen."
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse schätzen zudem die Klimawirkung von Methan-Lecks bei Förderung, Verarbeitung und Transport von Erdgas deutlich höher ein als zum Zeitpunkt der Genehmigung von Nord Stream 2 angenommen. Die Internationale Energieagentur geht aufgrund neuer Messungen davon aus, dass die Methan-Emissionen der Öl- und Gasindustrie aktuell um bis zu 80 Prozent unterschätzt werden.
Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz der DUH: "Beim Weltklimagipfel in Glasgow hat sich Deutschland noch öffentlichkeitswirksam dem "Global Methane Pledge" angeschlossen - und jetzt sollen bei der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 klimaschädliche Methan-Lecks aus der gesamten Erdgas-Lieferkette ignoriert werden? Das torpediert sämtliche Klimaschutz-Bemühungen. Der Weltklimarat IPCC hat unmissverständlich klargemacht: Ohne eine Reduktion der Methan-Emissionen können wir das 1,5-Grad-Limit nicht einhalten. Von der Nord Stream 2 AG können wir hier offenbar weder Transparenz noch ein Entgegenkommen erwarten. Deshalb werden wir hartnäckig bleiben und alle rechtlichen Möglichkeiten zum Stopp der Mega-Pipeline ausschöpfen."
Hintergrund:
Bereits im Juli 2020 hatte die DUH beim OVG Greifswald Klage auf Überprüfung und Erweiterung des Planfeststellungsbeschlusses aus Klimaschutzgründen gegen das Bergamt Stralsund eingereicht. Das Bergamt Stralsund ist für die Genehmigung von Nord Stream 2 in den Küstengewässern zuständig. Daneben klagt die DUH vor dem Verwaltungsgericht Hamburg gegen das ebenfalls zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie.
Methan ist das zweitwichtigste Treibhausgas nach CO2. Es ist laut Weltklimarat für etwa 0,5 Grad Celsius globaler Erwärmung verantwortlich. Über 20 Jahre betrachtet ist es 83-Mal klimaschädlicher als CO2.
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Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz DUH
0160 4334014, zerger@duh.de
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