Alle Storys
Folgen
Keine Story von Der Tagesspiegel mehr verpassen.

Der Tagesspiegel

Der Tagesspiegel: Zentralrat der Juden kritisiert Obamas Nahost-Politik scharf

Berlin (ots)

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat
US-Präsident Barack Obama wegen dessen Nahostpolitik scharf 
kritisiert. "Die neue amerikanische Politik gibt Grund zur Sorge", 
schreibt der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan J. Kramer in 
einem Beitrag für den in Berlin erscheinenden Tagesspiegel. Das 
Verhältnis zwischen den USA und Israel sei belastet wie seit langem 
nicht mehr. Obamas Forderung an die Regierung in Jerusalem, sich zur 
Gründung eines palästinensischen Staates zu bekennen und jegliche 
Siedlungstätigkeit im Westjordanland und in Ostjerusalem 
einzustellen, sei so öffentlich und brüsk vorgetragen worden, dass 
Israel nun wie ein "gescholtener Schuljunge" dastehe. Sollte die 
US-Regierung den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu 
"weiter in die Enge treiben", dann sei eine Verschärfung des 
Nahostkonflikts wohl nur eine Frage der Zeit, schreibt Kramer weiter.
Den vollständigen Beitrag finden Sie im Folgenden:
Gut gemeint ist nicht gut genug
Obamas Nahostpolitik zeugt von einem Mangel an historischem 
Verständnis
Von Stephan J. Kramer
Das Verhältnis zwischen den USA und Israel ist belastet wie seit 
langem nicht mehr. US-Präsident Barack Obama fordert von Jerusalem 
nicht nur, sich zur Gründung eines palästinensischen Staates zu 
bekennen und jegliche Siedlungstätigkeit im Westjordanland und in 
Ostjerusalem einzustellen. Vielmehr wurden beide Forderungen so 
öffentlich, so oft und so brüsk wiederholt, dass Israel wie ein 
gescholtener Schulbube dasteht.
Dabei versteht sich der US-Präsident keineswegs als ein Gegner des 
jüdischen Staates. In seiner Rede an die islamische Welt setzte er 
sich in der vergangenen Woche für Israel als eine jüdische Heimat 
ein, bekannte sich zu einem unverbrüchlichen Bund zwischen Amerika 
und Israel, verurteilte jeglichen Antisemitismus und erteilte der 
Holocaust-Leugnung eine eindeutige Absage.
Dennoch gibt die neue amerikanische Politik Grund zur Sorge. George 
W. Bush hatte zwar nicht alle israelischen Siedlungen für 
unbedenklich erklärt, Israel aber zugestanden, die wichtigsten 
Siedlungsblocks im Westjordanland behalten zu können. Dass die 
jüdischen Wohnviertel Ostjerusalems bei Israel verbleiben, ist ein 
bereits unter Bill Clinton verankerter Grundsatz.
Mit diesen Leitlinien hat Obama gebrochen, als er alle israelischen 
Bauten jenseits der alten Grenze für "illegitimate" erklärte - ein 
englisches Dehnwort, dessen Bedeutung von "unzulässig" bis hin zu 
"ungesetzlich" reicht. Damit erklärte Obama nicht nur die etwa 50 000
bis 60 000 Israelis in den bisher strittigen Westbank-Siedlungen, 
sondern alle 400 000 in Ostjerusalem und Westjordanland lebenden 
Juden zu Israels Sündenfall. Diese Definition wird auch vom Großteil 
des israelischen Friedenslagers abgelehnt.
So lässt sich nicht ausschließen, dass die USA Israels Premier 
Benjamin Netanjahu ganz bewusst in die Enge treiben, um Pluspunkte in
der islamischen Welt zu sammeln. Zudem wirft Obamas Kairoer Rede 
trotz des Bekenntnisses zu Israel Fragen zu seiner Weltanschauung 
auf. So bezeichnete der Präsident etwa die Israelis und die 
Palästinenser als "zwei Völker mit legitimen Bestrebungen, ein jedes 
mit einer schmerzvollen Geschichte". Die darin zum Ausdruck kommende 
Gleichstellung des jüdischen Schicksals einschließlich des Holocausts
mit der Situation der Palästinenser zeugt von einer emotionalen 
Schieflage. Auch stellte Obama die israelische Besatzung 
palästinensischer Gebiete mit der Sklaverei in den USA gleich. Er 
forderte die Palästinenser zum Gewaltverzicht auf: "Jahrhundertelang 
mussten Schwarze in Amerika Peitschenschläge als Sklaven und 
Erniedrigung durch Rassentrennung erdulden. Es war aber nicht durch 
Gewalt, dass sie volle und gleiche Rechte erlangten." Eine Äußerung, 
die von Mangel an historischem Verständnis zeugt.
Am Sonntag hat Netanjahu mit einer eigenen Grundsatzrede versucht, 
einen sicheren Weg zwischen der Scylla von Obamas Forderungen und der
Charybdis von Israels innenpolitischen Zwängen zu finden. Bei der 
Siedlungspolitik blieb der israelische Premier hart und lehnte einen 
Siedlungsstopp ab, doch kam er den USA bei der Zweistaatenlösung 
entgegen. Dabei knüpfte er seine Zustimmung an einen Verzicht der 
Palästinenser auf ihr Ziel, Israel durch palästinensische 
Masseneinwanderung in einen binationalen Staat zu verwandeln, und an 
eine strukturelle Nichtangriffsfähigkeit des palästinensischen 
Staates.
Diese Forderungen sind nicht ideologischer, sondern 
sicherheitspolitischer Natur. Nun muss Washington entscheiden, ob es 
Netanjahus Teilzugeständnis als einen Erfolg wertet und die 
berechtigten israelischen Forderungen an die Palästinenser 
weiterleitet, oder Netanjahu wegen der Siedlungspolitik weiter 
einseitig in die Enge treibt. Im letzteren Fall wäre eine 
Verschärfung des Nahostkonflikts wohl nur eine Frage der Zeit. In 
einer so komplexen Region wie dem Nahen Osten ist gut gemeint nicht 
gut genug.

Pressekontakt:

Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-308
Fax: 030-260 09-622
cvd@tagesspiegel.de

Original-Content von: Der Tagesspiegel, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Der Tagesspiegel
Weitere Storys: Der Tagesspiegel