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Der Tagesspiegel

Pressestimmen: Interview mit Erhard Busek, Chef Balkan-Stabilitätspakt

Berlin (ots)

Die Zahl der Friedenstruppen auf dem Balkan kann
nach Ansicht des Leiters des Stabilitätspaktes für Südosteuropa,
Erhard Busek, problemlos reduziert werden. Statt dessen müsse die
Europäische Union dringend eine schnelle Eingreiftruppe für den
zivilen Bereich ins Leben rufen. Dem Tagesspiegel sagte Busek: "Es
gibt heute keine militärische Bedrohung mehr. Die Probleme liegen in
der Grenzsicherung, der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und
der Korruption." Die EU müsse "eine Task-Force für Polizei, Justiz
und Verwaltung" aufbauen, sagte Busek, der seit 2002 Chef des
Stabilitätspaktes ist. Die Länder Südosteuropas benötigten eine
grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Richtern und Staatsanwälten.
Jedoch sei es "äußerst mühsam, dieses Personal für den Balkan zu
gewinnen, das dann dort die Region an europäische Standards
heranführen kann". Den EU-Staaten warf Busek vor, bei der
Verbrechensbekämpfung auf dem Balkan zu zögerlich zu sein. Im Kampf
gegen die organisierte Kriminalität seien die USA eindeutig am besten
entwickelt. Mit Blick auf die Debatte über die Rückführung von
Flüchtlingen kritisierte der ehemalige österreichische Vizekanzler,
dass in den EU-Ländern häufig der Standpunkt vertreten werde, jeder
Flüchtling müsse in sein Herkunftsland zurückkehren. Es müsse
akzeptiert werden, dass sich einige in anderen Ländern des Balkans
oder auch in anderen Staaten etabliert hätten. Es dürfe "keinen Zwang
zur Rückkehr geben, wenn die Zukunft in den Zielländern zu ungewiss
oder gefährlich ist". Die Vereinten Nationen forderte Busek auf, so
schnell wie möglich die Nachfolge des UN-Verwalters für das Kosovo,
Michael Steiner, zu klären. "Es darf keine Lücke geben, durch die wir
Zeit verlieren", sagte Busek.
Herr Busek, Deutschland und andere Länder, die sich auf dem Balkan
an Friedenstruppen beteiligen, möchten die Zahl ihrer Soldaten
reduzieren. Ist die Region reif dafür?
Ja. Es gibt heute keine militärische Bedrohung mehr. Die Probleme
liegen in der Grenzsicherung, der Bekämpfung der organisierten
Kriminalität und der Korruption. Soldaten können nicht alles machen.
Aber zum Beispiel im Kosovo oder Bosnien übernimmt das Militär
Aufgaben, für die es nicht da ist und oft nicht ausgebildet ist.
Natürlich liegt das daran, dass Soldaten immer relativ leicht
verfügbar sind.
Also brauchen wir eine schnelle Eingreiftruppe für den
Zivilbereich?
Ja, eine Task-Force für Polizei, Justiz und Verwaltung. Wir
bräuchten dringend eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit von
Richtern und Staatsanwälten. Es ist äußerst mühsam, dieses Personal
für den Balkan zu gewinnen, das dann dort die Region an europäische
Standards heranführen kann. Die Drogentransporte, die durch
Südosteuropa gehen, kommen zum Beispiel aus Afghanistan, und sind
global gesteuert. Das Geld, das dadurch verdient wird, geht mit
Sicherheit in irgendeiner Form in den Terrorismus. Ein riesiges
Problem ist auch der Handel mit Kindern und Frauen, die zur
Prostitution gezwungen werden. Aber man muss auch sehr deutlich
sagen: Der Markt für Drogen und Prostituierte ist in Westeuropa, und
dort wird weggeschaut.
US-Präsident George W. Bush hat mehr als 150 Personen und
Organisationen aus mehreren Balkan-Staaten auf eine Schwarze Liste
setzen lassen - und ihnen Geschäftskontakte mit den USAuntersagt.
Purer Aktionismus?
Ich möchte fair sein. Die Amerikaner sind in der Bekämpfung des
organisierten Verbrechens am besten entwickelt. Weil sie im Gegensatz
zu uns nicht zögern, grenzüberschreitend tätig zu werden. Die
EU-Staaten sind auf dem Balkan zu zögerlich. Ich hoffe, dass Brüssel
durch den Verfassungskonvent mehr gemeinsame Zuständigkeiten erhält.
Es ist naiv zu glauben, dass sich die Probleme dadurch lösen lassen,
dass man ein paar Zöllner irgendwo hinschickt. Wir sind aber zum Teil
noch in diesem Stadium. Zudem sind die formalen Hürden der
europäischen Polizei Europol sehr hoch. Das liegt an den Bedingungen
in den Mitgliedsländern wie zum Beispiel dem Datenschutz.
Welche Konsequenzen hat die Ermordung des serbischen
Ministerpräsidenten Zoran Djindjic für die Region?
Djindjic hatte nach seinem Tod mehr Unterstützung als zu
Lebzeiten. Doch im Nachhinein hat dieses tragische Ereignis wie ein
Katalysator gewirkt: Es hat die Probleme der gesamten Region noch
deutlicher hervortreten lassen. Der Mord hat dem restlichen Europa
und den USA vor Augen geführt, dass wir noch weit davon entfernt
sind, dass in Südosteuropa alles geregelt ist. Die Verwerfungen, die
es in dieser Region mindestens seit dem 19. Jahrhundert gibt, lassen
sich nicht von heute auf morgen beseitigen. Aber politisch gesehen
hat das Ereignis dazu geführt, dass man sich beim EU-Gipfel in
Thessaloniki unter griechischem Vorsitz besonders anstrengen wird,
für den Balkan eine Art Road Map in Richtung Europa zu erarbeiten,
die konkrete Aufgabenstellungen und Anforderungen für die Länder
enthalten wird.
In Deutschland steht die Frage der Rückkehr von Flüchtlingen wieder 
auf der Agenda…
Ein entscheidendes Problem ist, dass in den EU-Ländern vielfach
der Standpunkt vertreten wird, jeder Flüchtling müsse in sein
Herkunftsland zurückkehren. Einige haben sich aber durchaus in
anderen Ländern der Region oder bei uns etabliert und sehen ihre
Zukunft dort. Ich finde, das muss akzeptiert werden. Es darf keinen
Zwang zur Rückkehr geben, wenn die Zukunft in den Zielländern zu
ungewiss oder gefährlich ist.
Wie im Kosovo. Wer wird dort Nachfolger des deutschen
UN-Verwalters Michael Steiner?
Das weiß ich nicht. Aber es darf keine Lücke geben, durch die wir
Zeit verlieren. Wenn die Entscheidung nicht rasch erfolgt, liefert
das in der ohnehin kritischen Situation der Vereinten Nationen
denjenigen wieder Argumente, die die UN für bedeutungslos halten. Ich
wünsche mir, dass an einem Tag Steiner geht und am nächsten Tag der
Nachfolger im Kosovo seine Arbeit aufnimmt.
Sven Lemkemeyer
Der Tagesspiegel
Politikredaktion
phone.: ++49 30 260 09 549
fax:       ++49 30 260 09 416
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Verlag Der Tagesspiegel GmbH
10876 Berlin
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Telefon:030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
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