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Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. (GfbV)

Austritt aus der Istanbul-Konvention (1.7.): Erdogan opfert Frauenrechte dem Machterhalt

Austritt aus der Istanbul-Konvention (1.7.):

  • GfbV bedauert weiteren Schritt der Türkei auf dem Weg zum Islamismus
  • Entscheidung soll Erdogans Stammwähler binden
  • Widerstand vor allem von kurdischen und alevitischen Frauen

Am morgigen Donnerstag verlässt die Türkei das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) bedauert diese Entscheidung zutiefst. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte sie im März getroffen. „Der Austritt wurde mit dem Argument begründet, die Konvention bedrohe die traditionelle türkische Familie. Kulturkonservative Männer unterstützen diese Entscheidung – und sie sind die Stammwählerschaft der AKP“, erklärt GfbV-Nahostexperte Dr. Kamal Sido. „Türkische Familien sollen sich einem konservativen ‚Idealbild‘ unterwerfen und sich von westlichen Modellen mit stärkerer Gleichberechtigung entfernen.“ Zudem erhoffe sich Erdogan bessere Umfragewerte, obwohl die Wirtschaft am Boden liege und der Staat völlig unzureichend auf die Corona-Krise reagiert habe. Die „Federation of Women Associations of Turkey“ berichtet zudem, dass die häusliche Gewalt während der Pandemie zugenommen habe.

Zugleich gab und gibt es in der türkischen Gesellschaft auch Widerstand gegen den Austritt. „Besonders alevitische und kurdische Frauen haben gegen den Schritt gekämpft. Sie wehren sich gegen die zunehmend islamistische Männerherrschaft, die die türkische Regierung anstrebt“, berichtet Sido. Der Austritt aus der Konvention sei ein weiterer Schritt Erdogans zur Einführung des islamischen Scharia-Rechts in der Türkei. Wie das Land die Scharia mit seiner Mitgliedschaft in der NATO und anderen westlichen Institutionen vereinbaren wolle, bleibe offen. Auch der Europarat kritisiert den Rückzug aus dem Abkommen als enormen Rückschlag für die Türkei.

Die Istanbul-Konvention gilt als Meilenstein beim Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt. „Obwohl weiterhin Gewalt stattfindet, brachte das Übereinkommen Hoffnung auf Verbesserung. Diese Hoffnung zerschlägt sich mit dem Verlassen des Vertrags“, so Sido. Nach Angaben der türkischen Organisation „Wir werden Frauenmorde stoppen“ ist die Zahl der Morde an Frauen zwischen 2015 und 2019 um über 50 Prozent gestiegen. Die Zahl der Opfer erreichte 2019 mit 422 einen neuen Höchstwert. Im laufenden Jahr zählt die Organisation bereits 180 Morde. Nicht mit erfasst sind die sogenannten „Ehrenmorde“, die meist in Dörfern verübt werden. Sie geschehen häufig, wenn Mädchen oder Frauen Opfer einer Vergewaltigung werden. Genaue Zahlen hierzu liegen nicht vor. „Solche Morde berücksichtigt das türkische Gesetz kaum. Die Gerichte betrachten sie oft als Familienangelegenheit“, erläutert Sido. „Diese katastrophale Sichtweise wird durch das Verlassen der Istanbul-Konvention gestärkt.“

Sie erreichen Dr. Kamal Sido unter k.sido@gfbv.de oder 0173/6733980.

Gesellschaft für bedrohte Völker
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