Börsen-Zeitung: EZB muss Prioritäten setzen, Kommentar von Jürgen Schaaf zu dem am Donnerstag anstehenden Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank
Frankfurt (ots)
Die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) stehen vor einem Dilemma. Bei dem heute anstehenden Zinsentscheid dürften die Notenbanker, die in Frankfurt zusammenkommen, sich vor allem mit zwei Risiken auseinandersetzen, die es scharf voneinander abzugrenzen gilt.
Erstens kommen die Finanzmärkte nicht zur Ruhe. Die Liquiditätsengpässe in Europa infolge des amerikanischen Hypothekenschlamassels sind trotz der umfangreichen Finanzspritzen der EZB nicht behoben worden. Die Situation hat sich sogar eher verschärft als entspannt. Eine Zinserhöhung in diesem Umfeld könnte dramatische Folgen für das Finanzsystem haben.
Zweitens bleibt die wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum nach allen derzeit vorliegenden Daten robust. Wahrscheinlich ist der Höhepunkt des Zyklus zwar überschritten. Ein realwirtschaftlicher Schaden infolge der Liquiditätsklemme ist aber bislang nicht in Sicht. Die Gefahren für die Preisstabilität im Euroraum sind moderat, aber nicht gebannt. Eine Zinserhöhung, wie noch im August von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet für September in Aussicht gestellt, wäre entsprechend vertretbar.
Was soll die Notenbank also tun? Zunächst sind klare Prioritäten zu setzen. Wenn die akuten Probleme nicht gelöst werden, kann man sich die Auseinandersetzung mit den mittel- bis langfristigen Risiken einer leicht beschleunigten Inflation getrost schenken. Schließlich geht es um die Funktionsfähigkeit des gesamten Finanzsystems. Ein Ausweiten der Vertrauenskrise im Interbankenmarkt auf die Realwirtschaft hätte schlicht und ergreifend verheerende Folgen. Insofern muss die EZB zuvorderst den nach wie vor vom Austrocknen bedrohten Geldmarkt mit Liquidität bewässern, falls nötig sogar aggressiver als bisher und auch durchaus mit gelockerten Kriterien für Sicherheiten im Refinanzierungsgeschäft der Banken.
Sollte diese Krise ausgestanden sein - was sicherlich nicht schon in vier Wochen der Fall sein wird -, können sich die Währungshüter wieder mit dem Fine Tuning der Inflation intensiv befassen und dann auch, wenn nötig, die geldpolitische Straffung fortsetzen. Für die heutige Sitzung gilt jedoch: Den Leitzins unverändert bei 4% belassen und die anhaltenden Blockaden im Finanzsystem konstruktiv und offensiv angehen.
(Börsen-Zeitung, 6.9.2007)
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