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Börsen-Zeitung: Noch keine Entwarnung, Börsenkommentar "Marktplatz" von Dieter Kuckelkorn

Frankfurt (ots)

In der neuen Börsenwoche, genauer gesagt am
Mittwoch, ist es wieder einmal so weit: Wenn die Mehrheit der 
Notenbankbeobachter recht hat, wird die Fed erneut die Zinsen senken,
und zwar voraussichtlich um weitere 25 Basispunkte (BP) auf dann 2%. 
Eine ganze Reihe von Ökonomen geht allerdings davon aus, dass 
Fed-Chairman Ben Bernanke in die Vollen geht und den Märkten mit 
einer Reduzierung um 50 BP unter die Arme greift. Das dürfte es dann 
allerdings gewesen sein. Aktuell geht praktisch kein Fed-Watcher 
davon aus, dass es danach weitere Zinsschritte geben wird. Die 
US-Notenbank hat ihr Pulver verschossen, nun müssen die Anleger ohne 
die geldpolitische Unterstützung klarkommen.
Damit stellt sich die Frage, wie sich die Aktienmärkte ohne die 
Hilfe der Fed in den kommenden Monaten entwickeln. Zieht man die 
Historie der US-Börsen heran, sieht es gar nicht so schlecht aus: In 
den sieben Zinssenkungszyklen der vergangenen 40 Jahre hat es in 
allen Fällen in den ersten sechs Monaten nach dem Ende der 
Zinsschritte deutliche Kursgewinne gegeben, und zwar gemessen an der 
Performance des S&P500 im Durchschnitt um 12%, wie die amerikanische 
Investmentbank JPMorgan errechnet hat.
Für die europäischen Märkte sieht es zwar nicht ganz so freundlich
aus, aber die Tendenz ist dieselbe. In sechs von sieben Fällen 
entwickelte sich der Markt, gemessen am MSCI Europe, positiv, und 
zwar im Durchschnitt um knapp 10%.
Mit dieser Prognose, die für die kommenden Monate hoffen lässt, 
wird eine Situation beschrieben, wie sie sich typischerweise am Ende 
einer US-Rezession beobachten lässt. Das Schlimmste ist vorüber, es 
beginnt ein neuer Konjunkturzyklus, die Gewinnerwartungen der 
Unternehmen hellen sich auf - kurzum, die Märkte befinden sich in 
einem ausgesprochen freundlichen Umfeld.
Was die aktuelle Situation betrifft, sind hier jedoch erhebliche 
Abstriche zu machen. Nach wie vor befinden sich die Märkte in der 
tiefgreifendsten Finanzkrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 
Damit unterscheidet sich die Lage deutlich von derjenigen am Ende der
Rezessionen der Vergangenheit. Zwar sind die Marktreaktionen auf die 
jüngsten Beichten der Banken hinsichtlich neuer Abschreibungen und 
Verluste erstaunlich milde ausgefallen. Selbst eine Royal Bank of 
Scotland, die sich zur Rekapitalisierung 15 Mrd. Euro holen muss, 
oder eine Deutsche Bank, die am Dienstag möglicherweise den ersten 
Quartalsverlust seit fünf Jahren eingestehen muss, wird von den 
Anlegern kaum abgestraft.
Ob die jüngste Welle der Wertberichtigungen und Verlustmeldungen 
aber wirklich die letzte gewesen ist, steht in den Sternen. Wie das 
Schicksal der Düsseldorf Hyp zeigt, kann die Implosion einer Bank 
immer noch sehr schnell geschehen. Wackelkandidaten gibt es genug. 
Die Analysten von Unicredit merken dazu an, dass die Spreads am 
europäischen Geldmarkt weitere Risiken aus der Finanzmarktkrise 
signalisieren. Was die USA betrifft, so erscheinen beispielsweise 
Merrill Lynch und auch die Citigroup immer noch nicht in einem allzu 
vertrauenserweckenden Zustand.
Auffällig ist auch, dass das Anlegervertrauen weiter nachlässt. So
hat State Street jetzt berichtet, dass der von der Bank berechnete 
globale Investor Confidence Index im April auf 72,8 nach 77,2 im 
Vormonat nachgegeben hat. Die Investoren waren in Europa danach sogar
noch pessimistischer als in Nordamerika. Der Index ist deshalb so 
interessant, weil er auf dem realen Kauf- und Verkaufsverhalten der 
Anleger basiert - und nicht auf Umfragen mit zweifelhafter 
Aussagekraft.
Was den Märkten wohl noch bevorsteht, ist die Überwälzung der 
Folgen der Kreditkrise vom Finanzsektor auf die Realwirtschaft. Das 
Revisionsrisiko der Wachstumserwartungen der Unternehmen sei negativ,
heißt es bei Unicredit. Bislang wurden im EuroStoxx50 die 
Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate erst um rund 5% 
reduziert. Angesichts des Ausmaßes der Krise scheint dies eindeutig 
zu wenig zu sein. Und vielleicht liegt die Bundesregierung ja gar 
nicht so falsch, wenn sie ihre Wachstumsprognose für 2009 deutlich 
auf 1,2% senkt.
(Börsen-Zeitung, 26.4.2008)

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