Börsen-Zeitung: Was nun, Herr Köhler? Kommentar von Angela Wefers zur "Berliner Rede" von Bundespräsident Horst Köhler
Frankfurt (ots)
Es ist, als ob sich beide verschworen hätten. Erst Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede zu 60 Jahren sozialer Marktwirtschaft vor wenigen Tagen und nun Bundespräsident Horst Köhler in seiner "Berliner Rede": Miesmachen und Wehgeschrei sind von gestern; es wird ausschließlich nach vorn geblickt. Der sinkenden Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft und der wachsenden Angst vor den Folgen der Globalisierung zum Trotz zeigten beide Optimismus: Viel ist auf den Weg gebracht; Erfolge vor allem auf dem Arbeitsmarkt sind sichtbar; die Reformen müssen weitergehen - so lauten die Parolen. Es gilt die Erkenntnis, die sich schon Ludwig Erhard zunutze machte: Die Hälfte der Wirtschaft ist Psychologie.
Diese ist aber auch das Einzige, auf das Merkel und Köhler bauen können. Konkrete Antworten auf die Globalisierung, die zudem noch von der Wahlbevölkerung mehrheitlich akzeptiert würden, haben beide nicht parat. Köhler bot in seiner Berliner Rede, die seit der "Ruck-Rede" seines Amtsvorvorgängers Roman Herzog mit hohen Erwartungen verbunden ist, viel Richtiges - aber auch ein bisschen von allem und für alle. Da verlangte der Präsident Steuerreformen und Abgabenentlastungen, wie sie die FDP und der Wirtschaftsflügel der Union anstreben. Überlegungen zur Umfinanzierung der Sozialsysteme mit Steuergeldern propagiert auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück schon lange für die SPD, ebenso wie die Idee, beim Einsatz staatlicher Mittel stärker auf das Ergebnis zu schauen als allein auf deren Höhe. Den Gewerkschaften versprach Köhler Flächentarifverträge, den Arbeitgebern betriebliche Bündnisse. Was denn nun?
Eine "Wahlkampfrede" für eine zweite Amtszeit hielt der Bundespräsident zwar nicht, dafür polarisierte er zu wenig. Aber mehr als die Forderung nach einer politischen Debatte über eine Agenda 2020 dürfte es schon sein. Köhler weiß mit seiner wirtschaftlichen Expertise genau, was ein flächendeckender Mindestlohn auf dem Arbeitsmarkt anrichten oder eine Verlängerung der Altersteilzeit für die Sozialkassen bedeuten würde. Dazu enthielt er sich jedoch einer Bewertung. Dem Bundespräsidenten obliegt es zwar nicht, sich in die Tagespolitik einzumischen, aber das Recht, klare wirtschaftspolitische Leitlinien in einer Umbruchzeit wie dieser zu zeichnen, dürfte sich der Präsident schon herausnehmen.
(Börsen-Zeitung, 18.6.2008)
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