Börsen-Zeitung: Pferdewechsel, Kommentar zu den Finanzmärkten von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
Die Hoffnungen, dass der Dax seine Geländegewinne ausbaut und noch deutlicher über die Schwelle von 5000 steigt, ehe eine Konsolidierung folgt, haben sich zerschlagen. Der Rücksetzer ist früher gekommen und hat den Index in der Spitze um mehr als 400 Punkte gedrückt. Allerdings steht nicht der gesamte Markt unter Druck. Gefallen sind die in den vergangenen Wochen stark gestiegenen zyklischen Werte vor allem aus dem Bergbau- und Stahlbereich sowie die Finanztitel. Defensive Bereiche ziehen jedoch gegen die Gesamtmarkttendenz an. Das galt in der gerade beendeten Handelswoche insbesondere für die Telekommunikations-, die Nahrungsmittel- und Getränke- sowie die Healthcare-Titel. Außerdem haben die Versorger weniger stark nachgegeben als der Gesamtmarkt.
Nach der spektakulären Eindeckungsrally bei den Finanztiteln und der anschließenden Hausse der frühzyklischen Werte wechseln die Investoren nun die Pferde, und das ist wahrscheinlich keine schlechte Entscheidung. Nicht nur aufgrund der starken Kurssteigerungen ist die Luft für die Finanz- und die zyklischen Werte nach der rund drei Monate alten Rally dünn geworden. Die Aktienmärkte bewegen sich auch in einem Umfeld, das für die konjunkturanfälligeren Segmente nicht unbedingt günstig ist. Zwar mehren sich die Anzeichen dafür, dass es zum Worst Case, einer Depression wie zu Beginn der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, nicht kommen wird. Diese Ängste hatten gerade die zyklischen Bereiche im März auf zu tiefe Niveaus gedrückt, sodass die Rally unausweichlich wurde. Die Tatsache, dass die ganz große Katastrophe ausbleibt, bedeutet aber noch lange nicht, dass nun eine schwunghafte konjunkturelle Erholung bevorsteht.
Voreilige Rally
Im Gegenteil: Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Rally der konjunktursensiblen Titel und Finanzwerte in ihrem Ausmaß doch ein wenig voreilig war. Die Weltwirtschaft befindet sich nach wie vor im Abschwung, nur sein Tempo hat sich verlangsamt. Die Stimmungsindikatoren haben sich weltweit zwar erholt, sie liegen aber immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau. Experten sind sich zudem einig, dass die konjunkturelle Erholung nur sehr zögerlich einsetzen und außerdem zaghaft ausfallen wird. Damit sind Enttäuschungen für diejenigen, die mit einer schnellen Wende zum Besseren rechnen, programmiert.
Die Rezession und von ihr erneut ausgehende Anfälle von Verunsicherung an den Märkten sind ein Umfeld eben für defensive Titel, die sich durch weniger konjunktursensible, dafür aber stetige Erträge und Cash-flows auszeichnen. In Europa bieten sie vielfach auch noch eine relativ geringe Verschuldung und hohe Dividendenrenditen.
Nachholpotenzial
Für eine stärkere Beachtung defensiver Branchen spricht darüber hinaus, dass sie stark vernachlässigt worden sind. Das gilt insbesondere für die Rally seit dem Markttief vom 9.März. Banken- und Finanzwerte haben 100% bzw. 63% gewonnen, Grundstoffeproduzenten (Bergbau und Stahl) 55%. Dagegen fallen die Avancen beispielsweise der Telekommunikations-, Healthcare- und Versorgertitel mit Gewinnen von 8%, 15% und 17% mager aus, sie sind auch im Vergleich zum Gesamtmarkt (32%) unterdurchschnittlich, was ebenfalls auf Nachholpotenzial hindeutet.
Entscheidend für die kommenden Wochen wird die Berichtssaison zum zweiten Quartal sein. Einige Experten glauben, dass dies den Zyklikern noch einmal einen Schub bringen wird, weil sie davon ausgehen, dass die Resultate weniger schlimm ausfallen als befürchtet. Nach dieser Lesart soll erst die Berichterstattung zum dritten Quartal, bei der die Unternehmen dann auch verstärkt zum nächsten Jahr Stellung nehmen, die nachhaltige Wende hin zu den defensiven Segmenten des Aktienmarktes auslösen. Einige Mitteilungen konjunktursensibler Unternehmen aus der gerade beendeten Woche sprechen jedoch eher dafür, bereits jetzt mit der Umschichtung in defensive Bereiche zu beginnen. So haben der amerikanische Paket- und Briefzusteller FedEx und die Schweizer Adecco, die größte Zeitarbeitsfirma der Welt, erklärt, dass das Umfeld für ihre Branchen in den nächsten Quartalen bzw. bis ins nächste Jahre hinein schwierig bleiben wird.
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