Börsen-Zeitung: Negative Langzeitwirkung, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn
Frankfurt (ots)
Sieht man sich die Entwicklung der Aktienmärkte in der gerade beendeten Börsenwoche an, so könnte man den Eindruck gewinnen, es sei nichts Wesentliches geschehen. Denn obgleich ein EU-Mitgliedsland verzweifelt gegen den Staatsbankrott und für den Verbleib in der Eurozone kämpft, hat der Dax in den fünf Handelstagen gerade 1,6% eingebüßt. Zumindest am Freitag, während sich die Lage erheblich zuspitzte, sahen sich die Marktteilnehmer nicht dazu genötigt, ihre investierten Mittel in Sicherheit zu bringen. Man wartete ruhig ab und hielt sich lediglich mit Käufen und Verkäufen zurück. Die entspannte Haltung der Akteure war auch am Euro abzulesen, der sich im Tagesverlauf gegenüber dem Stand vom Vorabend noch leicht befestigte, obwohl die Gemeinschaftswährung erstmals eines ihrer Mitgliedsstaaten zu verlieren drohte. Und an der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen, die wieder leicht auf 1,37% gestiegen ist, lässt sich ablesen, dass sich die Flucht in Qualität zum Wochenende hin nicht weiter intensiviert hat. Die deutlichste Reaktion gab es in Moskau: Der dortige Leitindex Micex gab am Freitag zeitweise um 1% nach.
Marktreaktionen möglich
Zwar ist es nicht auszuschließen, dass es im Rahmen der Zypern-Turbulenzen nicht doch noch zu deutlich negativen Marktreaktionen kommt - zumal vom einem gekonnten gemeinschaftlichen Krisenmanagement der Troika und der zypriotischen Seite keine Rede sein kann. Es ist aber zu erwarten, dass Turbulenzen an den Märkten von relativ kurzer Dauer sein werden.
Für die relative Robustheit des Investorensentiments gibt es mehrere Gründe. So wird Zypern von den Investoren mit seinen speziellen Problemen wie dem überdimensionierten Bankensystem als ein Sonderfall wahrgenommen. Ein Übergreifen auf andere Krisenstaaten wird kaum erwartet. So hat es bislang auch keine Ausweitung der Spreads von Staatspapieren dieser Länder gegenüber Bundesanleihen gegeben.
Selbst für den schlimmsten Fall eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs Zyperns wären zumindest die direkten Folgen begrenzt, denn nach Berechnungen der Commerzbank belaufen sich die Forderungen ausländischer Banken gegenüber Zypern auf gerade einmal 51,6 Mrd. Euro. Dies entspreche lediglich 0,17% der gesamten weltweiten grenzüberschreitenden Forderungen von Banken. Getroffen würden vor allem die griechischen Banken, die Forderungen gegenüber Zypern von 15,3 Mrd. Euro halten. Sie müssten zwar erneut rekapitalisiert werden, wofür aber noch 7 Mrd. Euro zur Verfügung stehen.
Beruhigung der Anleger
Zudem sind die Faktoren, die die freundliche Stimmung getragen haben, weiter vorhanden. Zu nennen ist dabei insbesondere die Flutung der Märkte mit Liquidität durch die Notenbanken unter Führung der amerikanischen Federal Reserve. Anlässlich der jüngsten Zinssitzung der Fed vor wenigen Tagen haben die Notenbanker in ihrem Communiqué keine Hinweise darauf gegeben, dass sie inzwischen mehrheitlich einen vorzeitigen Ausstieg aus den Liquiditätshilfen wollen. Dies beruhigt die Anleger, die genau wissen, dass die Hausse der vergangenen Monate stark liquiditätsgetrieben war. Außerdem verweisen Analysten auf die hohen Unternehmensgewinne sowie darauf, dass die Konjunkturschwäche der Eurozone bereits weitgehend eingepreist ist.
Und nach wie vor gilt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) angekündigt hat, sie werde notfalls Anleihen von Krisenstaaten wie Spanien und Italien in unbegrenztem Volumen aufkaufen. Gegen diese "EZB-Bazooka" werden sich selbst äußerst waghalsige Akteure nicht positionieren wollen.
Gefahr eines "Banken-Runs"
Auch wenn sich die Reaktionen kurz- und mittelfristig in Grenzen halten, langfristig ist durchaus mit negativen Folgen der Ereignisse zu rechnen. Auch wenn es im Fall Zyperns gute Gründe für den Rückgriff auf die Guthaben der Sparer gibt: Es bleibt die Erkenntnis, dass in der Eurozone ein Tabubruch stattgefunden hat. Krisenhafte Entwicklungen in EU-Staaten sind ab sofort immer mit der Gefahr eines "Banken-Runs" verbunden, der die Situation stets erheblich verschärfen würde. Und weil der Austritt eines - wenn auch unbedeutenden - Mitglieds der Eurozone in Erwägung gezogen worden ist, werden sich Marktteilnehmer von nun an noch stärker als bisher die Frage nach der langfristigen Überlebensfähigkeit der Gemeinschaftswährung stellen. Damit sind neue Unsicherheitsfaktoren für die Kapitalmärkte entstanden.
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