Börsen-Zeitung: Absteiger des Jahrzehnts, Kommentar zu Hoeneß von Bernd Wittkowski
Frankfurt (ots)
Wann ist ein Urteil gerecht? Darüber gehen die Meinungen in den meisten Fällen auseinander. Uli Hoeneß und die während des viertägigen Strafprozesses im Angesicht von Zockereien und Steuerhinterziehung jeweils in Fantastillionenhöhe anscheinend schon etwas geschrumpfte Zahl seiner Fans mögen die Verurteilung zu dreieinhalb Jahren Haft für ungerecht oder das Strafmaß, so Staranwalt Hanns Feigen, "in der Oktave für völlig verfehlt" halten, weshalb der Verteidiger ja sogleich Revision ankündigte - ein Schuss, der auch nach hinten losgehen, also strafverschärfend wirken kann, denn die Staatsanwaltschaft, die unter der Annahme eines besonders schweren Falles fünfeinhalb Jahre gefordert hatte, verfügt über das gleiche Rechtsmittel.
Ein gut vertretbares Urteil
Man muss sich aber auf die Frage "Gerecht oder nicht?", die den einen oder anderen aufgeregten Politiker umtreibt, gar nicht einlassen. In der Juristerei kommt es maßgeblich darauf an, ob eine Entscheidung nachvollziehbar, schlüssig, gut vertretbar ist. Das kann man von neutraler Warte aus für das Urteil des Münchener Landgerichts bejahen. Richtig ist: Für die Wirksamkeit einer Selbstanzeige spielt die Höhe der Steuerverkürzung keine Rolle. Aber kann eine Selbstanzeige, aus der die Strafverfolger in ihrer Anklage hinterzogene 3,5 Mill. Euro ableiten, aus denen in der Hauptverhandlung auf geradezu bizarre Weise von der Verteidigung abgenickte 27,2 Mill. Euro werden, inklusive "Soli" jetzt 28,5 Mill. Euro, kann diese Selbstanzeige, die angeblich auch eine Steuerschuld von 70 Mill. Euro hergegeben hätte, überhaupt die Bedingungen erfüllen, an die die strafbefreiende Wirkung geknüpft ist, nämlich unter anderem Vollständigkeit? Schwer vorstellbar.
War die Selbstanzeige aber "verunglückt", hätte es bei der hier vorliegenden Dimension enormer Fantasie bedurft, sich noch eine Bewährungsstrafe - maximal zwei Jahre - vorzustellen. Zur Einordnung nur ein Beispiel, auch wenn natürlich jeder Fall anders gelagert ist: Eine ebenso wie Hoeneß nicht vorbestrafte, weitgehend geständige frühere Geliebte des 2010 verstorbenen Frankfurter "Bierkönigs" Bruno H. Schubert ("Henninger") wurde soeben wegen der Hinterziehung von 770000 Euro Schenkungssteuer zu zweieinhalb Jahren verurteilt. Der Vergleich zeigt zumindest eines: dass das Münchener Strafmaß nicht jenseits von Gut und Böse liegt, auch wenn das Gericht interessanterweise keinen besonders schweren Fall erkannt hat.
Der amtierende Präsident von Bayern München und Aufsichtsratsvorsitzende der FC Bayern München AG ist, wenn dieses Urteil jedenfalls dem Grunde nach Bestand hat, ein Krimineller. Noch ist das vom Kammervorsitzenden Rupert Heindl verkündete Verdikt zwar nicht rechtskräftig. Mit der Feststellung, dass der 62-jährige Hoeneß im internationalen Fußballgeschäft mindestens der Absteiger des Jahrzehnts ist, verletzt man dennoch nicht die Unschuldsvermutung. Es ist, als würde der deutsche Fußballrekordmeister direkt nach dem Gewinn des Triple in die Regionalliga durchgereicht. Am Rande: Die Höhe der nicht gezahlten Steuern war ja hier absolut Champions-League-reif.
Das Beste, was man dem Fußballweltmeister von 1974 jenseits seiner unbestrittenen Verdienste um den Sport und als sozial engagierter Wohltäter mit sehr viel Goodwill zugutehalten kann, ist, dass er als Zocker und Steuerbürger offenbar in einer Parallelwelt gelebt und dort den Überblick nicht nur über seine persönlichen Finanzen verloren hat, sondern vor allem auch darüber, was geht und was nicht geht. Hoeneß, der so überzeugend für Anstand und Zivilcourage eintrat, war Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Als Letzterer hat er nach Überzeugung der Ankläger in Deutschland 25 Mill. Euro Steuern gezahlt und gleichzeitig in der Schweiz 27 Mill. Euro hinterzogen - was, nebenbei bemerkt, auch nicht übermäßig für die Beratungsqualität am diskreten Bankenplatz Zürich spricht.
Wer die von ihm selbst öffentlich hochgehaltenen Ansprüche und Werte durch sein Handeln derart flagrant verrät, zerstört sein noch so beeindruckendes Lebenswerk eigenhändig und ist auch ohne Rücksicht auf das strafrechtliche Urteil moralisch extrem tief gefallen, in diesem Fall aus beachtlicher Höhe. Hoeneß sollte unabhängig von der Revision besser heute als morgen von sämtlichen Ämtern zurücktreten und uns allen tränenreiche, dem Rechtsbewusstsein des Publikums äußerst abträgliche Inszenierungen fortan ersparen. Falls er sein Aufsichtsratsmandat nicht freiwillig niederlegen sollte: Wie lange wollen ihm die anderen Mitglieder des Gremiums, darunter die Vorstandsvorsitzenden von Adidas, Audi, Deutscher Telekom und Volkswagen sowie Bayerns Ministerpräsident a.D. Edmund Stoiber, noch die Stange halten?
Realitätsverlust
Hinterfragen müssen sich auch jene, die den Medienhype kritisieren bzw. sich - wie der Chef des Bayern-München-Sponsors HypoVereinsbank, Theodor Weimer - künstlich darüber erregen, mit welcher "Sensationslust" diese Causa "bespielt" werde. Wer wenn nicht die Fußballbranche und ihr Umfeld lebt denn von dem geradezu bis zum Exzess gesteigerten Rummel und der Sensationslust und fördert beides zum eigenen Nutzen? Und dann wundert man sich, wenn das Publikum auch nach Sensationen wie einem beispiellosen Kriminalfall eines der Hauptakteure giert? Auch das hat etwas von Realitätsverlust.
Vor dem scheint im Übrigen auch die Verteidigung nicht völlig gefeit zu sein. Oder wozu sollte der Hinweis gut sein, die von Hoeneß nicht versteuerten Gewinne seien längst wieder verloren? Müssen die Bayern-Anhänger jetzt noch für ihn sammeln, damit er seine Schulden beim Fiskus begleichen kann?
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