Börsen-Zeitung: Kein Ruhmesblatt für Europa, Kommentar zu Griechenland von Detlef Fechtner
Frankfurt (ots)
Gewiss, Euroland hat es irgendwie doch wieder geschafft, den Streit zu beenden. Das ist zugegebenermaßen für sich genommen schon etwas wert, denn die Fähigkeit zum Kompromiss ist eine der Kernkompetenzen, auf die sich die EU etwas einbilden kann.
Auch dass mit der gestrigen Verabredung über die Bedingungen eines neuen Hilfsprogramms ein Grexit (zumindest vorerst) abgewendet zu sein scheint, ist keine Nickligkeit. Ein Ausscheiden von Hellas aus dem Euro-Club wäre für die verbleibenden Euro-Länder ein riskantes Experiment mit ungewissem Ausgang gewesen - und für Griechenland selbst ein Desaster. Es hätte das Land in eine humanitäre Katastrophe geführt. Nach dem gestrigen Tag muss nun erfreulicherweise erst einmal niemand in Brüssel Lebensmittelpakete für Athen packen oder Ärzte ohne Grenzen quer durch Europa schicken. So weit, so erleichternd.
Das aber war es auch schon fast, wenn man sich das Positive der vergangenen Monate, Wochen, Tage und schließlich Nächte vor Augen führt. Denn Europa und die Eurozone haben sich während des Verhandlungsmarathons ganz sicher nicht mit Ruhm bekleckert - weder die Griechen noch ihre Gläubiger in den Hauptstädten und auch nicht die Profi-Europäer in Brüssel. Nein, ganz im Gegenteil: Die Union hat Kritikern und Spöttern viel Futter gegeben - und der Schaden ist groß, den der viel zu späte Kompromiss hinterlässt. Jene Absprache, die ja gerade nicht die Bezeichnung als Einigung oder als Verständigung oder gar als Lösung verdient, weil sich die Beteiligten auch gestern Vormittag nicht tatsächlich einig waren, nicht wirklich Verständnis füreinander aufgebracht und eben auch keine echte Lösung gefunden haben.
Sorglose Zockerei
Die griechische Regierung muss sich - fast schon zynische - Sorglosigkeit im Umgang mit der eigenen Bevölkerung vorwerfen lassen. Es gibt kein noch so gutes strategisches Motiv, das es rechtfertigt, den heimischen Wählern vorzugaukeln, übermorgen werde alles gut, sofern nur eine Mehrheit morgen mit Nein stimme. Es ist schlichtweg verantwortungslos, in Zeiten geschlossener Banken und langer Schlangen vor den Geldautomaten die diplomatischen Gesprächspartner zu brüskieren. Und es geht gar nicht, wenn Regierungen auf Risiko der Menschen, die sie gewählt haben, zocken und pokern, als wäre alles nur ein großes Spiel.
Enttäuscht sind zudem alle jene, die gehofft hatten, eine Ablösung von Pasok und Nea Dimokratia durch Syriza biete endlich die Chance zu einer radikalen Abkehr von Vetternwirtschaft und Nepotismus im Krisenland Griechenland. Die Regierung hat nicht einmal beweisen können, dass sie den Namen "Linksbündnis" verdient, denn auch sozialpolitisch war ein Richtungswechsel allenfalls in Ansätzen erkennbar.
Kritik muss sich allerdings auch die Seite der Kapitalgeber anhören. Der Sturm der Entrüstung in den sozialen Netzwerken über den gestrigen Deal, der vielerorts als Diktat und Oktroi beschimpft wurde, ist sicherlich im Ton wesentlich schärfer als das allgemeine Meinungsbild.
Ärger über "Grexit auf Zeit"
Aber selbst in den traditionellen Medien und Volksparteien zeigten viele ihren Unmut über interne Arbeitspapiere des Bundesfinanzministeriums, in denen offen mit einem "Grexit auf Zeit" gedroht wurde, oder über die Forderung nach Abgabe der Verantwortung über staatliche Vermögenswerte. Da erinnerte die eine oder andere Idee an populistische Vorschläge aus der Frühzeit der Krise - wie das Verscherbeln der Inseln.
Die Profi-Europäer in der EU-Kommission und im Europaparlament schließlich sorgten vor allem jetzt im Finale für Verwirrung, wenn sie eigenmächtig Bewertungen twitterten, interne Papiere durchstachen und ihre Vermittlerrolle politisch soweit dehnten, dass sie der Annäherung und Kompromissfindung letztlich oftmals nicht dienten.
Welche Auswirkungen wird der Kompromiss vom frühen Montagvormittag nun haben? Griechenland ist durch den Stillstand der vergangenen Monate so sehr wirtschaftlich aus der Bahn geworfen, dass die Rückkehr zu Wachstum und Überschüssen noch beschwerlicher wird. Viele Griechen werden die schwierigen Lebensumstände den Kapitalgebern ankreiden. Das Bekenntnis zur Eurozone in den Umfragen sollte niemand überschätzen. Daraus spricht nicht Zuneigung, sondern Angst. Entfällt die akute Sorge vor dem Grexit, wird wohl der Ärger über Euroland wieder stärker in den Vordergrund rücken.
In den Geldgeber-Staaten sind die Bürger derweil ebenfalls von der täglichen Brennpunkt-Sendung aus Brüssel erschöpft. Ihr Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Union als Problemlöser dürfte weiter geschwunden sein, ihr Appetit auf nächste Integrationsschritte ebenso. Noch nachhaltigere Auswirkungen dürfte das Gezerre um Griechenland in Großbritannien haben - scheinen doch sechs Krisentreffen der Finanzminister und drei Gipfel binnen Tagen die britischen EU-Kritiker zu bestätigen. Es ist kein Zufall, dass in London zuletzt nicht bloß die Zeitungen mit den großen Lettern in galligem Ton über den Umgang der Europäer untereinander lästerten. Der Grexit mag zunächst abgewendet, aber der Brexit dürfte gleichsam Fürsprecher gewonnen haben.
Nein. Ganz sicher hat sich die EU in der Griechen-Saga nicht von ihrer glanzvollen Seite gezeigt. Der gestrige Kompromiss um fünf nach zwölf mag Schaden begrenzt haben. Aber das "Friedensprojekt" Euro bleibt als potenzieller Spaltpilz diskreditiert. Und Griechenlands wirtschaftliche Stabilisierung ist - trotz neuer Milliardenhilfen - weiter bloß Hoffnungswert.
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