Börsen-Zeitung: Positive Überraschung? - Marktkommentar von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
Es gehört schon lange zum gewohnten Bild. Wenn Unternehmen in der Quartalsberichtssaison ihre Zahlen vorlegen, ist in beeindruckender Häufigkeit und Regelmäßigkeit in den Schlagzeilen zu lesen, dass die Erwartungen der Analysten und des Marktes übertroffen worden sind. Fleißige Datensammler berechnen das Verhältnis der positiven und negativen Ergebnisüberraschungen und kommen zu überaus erfreulichen Werten. Daraus schließen dann Medien und Teile des Marktes, dass die Berichtssaison gute laufe. Besonders bemerkenswert ist, dass dieser Mechanismus so zuverlässig ist: Er funktioniert seit einigen Jahren sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten.
Auch das zweite Quartal macht hier keine Ausnahme. 81% der S&P-Unternehmen, schrieb die BayernLB vor dem Wochenende, haben positiv überrascht, was über dem langfristigen Durchschnittswert liege. Die aggregierte positive Gewinnüberraschung liege bislang bei 4,5%. Von den Unternehmen des Stoxx Europe 600 haben dem Institut zufolge bislang 58% positiv überrascht, die aggregierte positive Gewinnüberraschung gemessen an den Konsensprognosen habe bei 5% gelegen.
Anleger sind gut beraten, Meldungen über eine angeblich rund laufende Berichtssaison mit Vorsicht zu genießen. Denn im Vergleich zu dem, was der hohe Anteil der positiven Überraschungen auf den ersten Blick suggeriert, kann die Wirklichkeit ernüchternd sein, und derzeit ist sie es. Tatsächlich sinken die Gewinne der börsennotierten Unternehmen in Europa. Die vermeintlich positiven Überraschungen der Quartalsberichterstattung kommen dadurch zustande, dass die Erwartungen der Analysten von Investor-Relations-Abteilungen frühzeitig und hinreichend nach unten gepflegt werden, so dass mitunter schon ein ziemlich heftiges Desaster geschehen müsste, damit die Konsenserwartung der Marktteilnehmer nicht wenigstens in etwa erfüllt wird.
Rückgang um 1 Prozent
Ein Blick auf den Dax: Während auch in der laufenden Berichtssaison die positiven Überraschungen überwiegen, befinden sich die Konsensprognosen der Analysten nach einem vorübergehenden Ausreißer nach oben im Frühjahr, wieder im Sinkflug. Die Konsenserwartung für den aggregierten Gewinn je Aktie der Dax-Unternehmen dieses Jahres lag Ende 2015 bei 831 Indexpunkten. Davon sind derzeit noch 783 Punkte übrig; ein Rückgang der Erwartungen um nahezu 6%. Die Folge: Gingen die Analysten vor rund sieben Monaten noch davon aus, dass die Gewinne in diesem Jahr um fast 5% zulegen würden, rechnen sie mittlerweile mit einem Rückgang um 1%. Auch die Konsensprognose für das kommende Jahr ist deutlich gesunken, und zwar von 914 auf 869 Indexpunkten.
Das führt zum nächsten Problem: Damit gehen die Analysten immer noch davon aus, dass die Gewinne der Dax-Unternehmen im kommenden Jahr recht deutlich zulegen werden, und zwar um 11%. Das scheint ein wenig ambitioniert in einem Umfeld, in dem das Wachstum der Weltwirtschaft bescheiden ist und sich die Wachstumsprognosen in einem stetigen Sinkflug befinden, beinahe mit der gleichen Zuverlässigkeit, mit der die Überraschungsbilanzen der Quartalsberichtsphasen positiv ausfallen.
Risiken durch Ölpreise
Die BayernLB verweist darauf, dass aufgrund der vor der Berichtssaison nach unten revidierten Prognosen der Trend der Gewinnrevisionen relevanter ist als die Gewinnüberraschungen. Insgesamt sei der Gewinnrevisionstrend 2016 und 2017 bei den europäischen Indizes weiterhin abwärts gerichtet. "Wir erwarten, dass sich dieser Trend auch im Zuge der konjunkturellen Bremswirkungen des Brexit noch fortsetzt." Stabilisierend wirke allerdings, dass sich der Abwärtstrend der Gewinnrevisionen bei den Rohstoff- und Ölwerten nach oben gedreht habe.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich nun durch den wieder sinkenden Ölpreis, der am Freitag den niedrigsten Stand seit etwas mehr als drei Monaten erreichte, neben dem Brexit-Votum weitere Risiken. Die Verunsicherung und der Druck auf die Aktienmärkte, die der starke Ölpreis bis Anfang des Jahres auslöste, sind noch in guter Erinnerung.
Eingegrenzt werden die Risiken von der Gewinnseite aber weiterhin von den Zentralbanken, die die Aktienmärkte stützen. Allerdings haben die neuen Lockerungsmaßnahmen der japanischen Währungshüter am Freitag die Erwartungen des Marktes nicht ganz erfüllt. Als Folge zog der Yen stark an. Für die japanischen Unternehmensgewinne bedeutet das nicht Gutes.
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