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Börsen-Zeitung: Marktkommentar Lira auf der Kippe von Christopher Kalbhenn

Frankfurt (ots)

Seit die Zentralbanken der USA und des Euroraums ihren Schwenk hin zu einer lockereren Geldpolitik kommuniziert haben, rollt eine Leitzinssenkungswelle um den Globus. Möglicherweise wird die EZB in der neuen Woche ihren Einlagensatz leicht senken, Ende des Monats erwartet die Märkte von der Fed eine Senkung der Fed Funds Rate um 25 Basispunkte. Andere Notenbanken warten nicht auf die Großen der Zunft, sondern haben bereits gehandelt. Mit Rückenwind durch die neue geldpolitische Linie der Fed, aber auch aufgrund inflationsseitigen Spielraums sowie wegen sich abschwächenden Wachstums haben allein in der abgelaufenen Woche die Notenbanken Südafrikas, Südkoreas und Indonesiens ihre Leitzinsen gesenkt. Die indonesischen Währungshüter haben mit ihrem Schritt überdies begonnen, die Leitzinserhöhungen um 175 Basispunkte, mit denen sie im Vorjahr die Rupiah stabilisiert haben, zumindest teilweise rückgängig zu machen. Parallelen zur Türkei, deren Zentralbank am kommenden Donnerstag über ihren Leitzins entscheidet, sind unübersehbar. Auch die Währungshüter dieses Landes haben 2018 zur Zinskeule gegriffen, um ihre taumelnde Währung aufzufangen. Um insgesamt 11,5 Prozentpunkte auf 24% wurde der Repo-Satz angehoben. Eine Zinssenkung der türkischen Zentralbank wurde bis vor kurzem von den Experten nicht nur erwartet, sondern auch mit Wohlwollen betrachtet, da die Inflationsrate in dem Land in den zurückliegenden Monaten gesunken ist. Seit Präsident Erdogan den Notenbankgouverneur Murat Cetinkaya entlassen und dies auch noch damit begründet hat, dass dieser seine Anweisung, den Leitzins zu senken, nicht befolgt habe, ist die Akzeptanz von Lockerungsschritten der türkischen Währungshüter bei den Analysten aber passé. Denn nun scheint der letzte Rest Notenbankunabhängigkeit dahin. Am Donnerstag steht damit viel für die Türkei auf dem Spiel. Die zentrale Frage: Wird der neue Zentralbankchef Murat Uysal auf Geheiß Erdogans den Zins kräftig senken und sich damit als vollkommen willfähriger Befehlsempfänger Erdogans erweisen? Kommt es so, könnte das die Lira abstürzen lassen und schlimme gesamtwirtschaftliche Folgen für das Land haben. Umso erstaunlicher ist auf den ersten Blick die moderate Reaktion der Lira auf die Entlassung Cetinkayas. Ihre seither angefallener Verlust beschränkt sich auf bis zu rund 2,5%. Offensichtlich glauben die Marktteilnehmer, dass der Worst Case nicht eintreten wird, und dafür gibt es auch Argumente. Erdogan könnte durchaus davor zurückschrecken - oder erst gar nicht vorhaben -, eine kräftige Zinssenkung zu erzwingen. Die Entlassung Cetinkayas und die Ankündigung umwälzender Veränderungen in der Notenbank müssen eingeordnet werden. Der türkische Präsident wettert schon lange gegen die Geldpolitik der Notenbank bzw. den höheren Leitzins. Dass er Cetinkaya gerade jetzt entlassen hat, ist kein Zufall. Erdogan, der sonst nur Siege kennt (und anerkennt), hat bei der Istanbuler Oberbürgermeisterwahl eine krachende Niederlage erlitten, die an seinem Nimbus der Unbesiegbarkeit kratzt. Zudem wenden sich derzeit etliche wichtige und langjährige politische Weggefährten von ihm ab. Erdogan muss also gerade jetzt einen Erfolg bzw. Sieg darstellen und hat zu diesem Zweck die Zentralbank auserkoren. Der Schuss könnte allerdings noch viel gewaltiger als die Annullierung der ersten Runde der Wahl in Istanbul nach hinten losgehen, wenn sich eine Leitzinssenkung am Donnerstag nicht auf ein moderates Ausmaß beschränken und nicht von einer überzeugenden und glaubwürdigen Erklärung begleitet werden sollte. Der Türkei würde dann ein Schock drohen. Die Lira würde absacken mit der Folge, dass die hohen Dollarschulden des Privatsektors zu einer prekären Last und die Inflation wieder stark anziehen würde. Letztlich würde die Wirtschaft schrumpfen. Die Ratingagentur Fitch hat die Türkei bereits im Rahmen einer vorgezogenen Überprüfung aus Anlass der Entlassung Cetinkayas von "BB" auf "BB-" herabgestuft und die neue Note auch noch mit einem negativen Ausblick versehen. Die Entlassung verstärke Zweifel an der Bereitschaft der Regierung, eine für die Stabilisierung der Wirtschaft notwendige längere Phase mit sinkender Inflation und unter Trend liegendem Wachstum hinzunehmen, so Fitch. Sie laufe Gefahr, ein bereits schwaches Vertrauen im Inland zu beschädigen, die für den hohen Außenfinanzierungsbedarf notwendigen Kapitalzuflüsse aufs Spiel zu setzen und die wirtschaftliche Entwicklung zu verschlimmern.

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