Börsen-Zeitung: Kommentar von Claus Döring zur Diskussion um gesetzliche Mindestlöhne: Kaputtredner
Frankfurt (ots)
Krankt die deutsche Wirtschaft an zu niedrigen Löhnen? Wer die vom SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering losgetretene und am Montag mit breitem Echo bedachte Diskussion um gesetzliche Mindestlöhne verfolgt, kann nur noch den Kopf schütteln. Wissen die verantwortlichen Politiker überhaupt, welch jämmerlichen Eindruck der Orientierungslosigkeit sie seit Wochen bieten, meist unabhängig von parteipolitischer Zugehörigkeit? Keine Idee scheint abstrus genug, um zur Vermeidung des vermeintlichen sozialen Kahlschlags der Hartz-IV-Reformen nicht in die Debatte geworfen zu werden. Damit verstärken sie den falschen, auch von manchen Medien in der Öffentlichkeit geschürten Eindruck, mit Hartz IV würden Millionen von Bürgern Armut und sozialem Elend ausgeliefert.
Gesetzliche Mindestlöhne sind entweder überflüssig oder schädlich. Liegt der Mindestlohn unter den am Markt erzielbaren, effektiv gezahlten Löhnen, bleibt er ohne Wirkung. Liegt er über den Marktlöhnen, verteuert er die Arbeit und führt zu Arbeitslosigkeit ausgerechnet unter den gering Qualifizierten, die dem Rationalisierungsdruck ohnedies am stärksten ausgesetzt sind. Das Dilemma des deutschen Arbeitsmarktes ist ja gerade, dass es in weiten Bereichen aufgrund der Tarifverträge de facto Mindestlöhne gibt. Dort, wo die Tarifverträge nicht greifen, stellen Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld II den Mindestlohn dar. Denn zu Konditionen unterhalb dieser Minimalleistungen wird in Deutschland niemand Arbeit annehmen. Ein gesetzlicher Mindestlohn, der oberhalb des Arbeitslosengeldes II läge, würde die gesamte Arbeitsmarktreform Hartz IV ad absurdum führen. Der ganze Sinn dieser Reform liegt darin, dass Langzeitarbeitslosen auch eine Bezahlung deutlich unterhalb des örtlichen Lohnniveaus zugemutet werden kann und sie dadurch wieder in Beschäftigung kommen.
Die Bürger in diesem Land haben ein gutes Gespür dafür, welche schwerwiegenden Folgen der Reformstau respektive das Kaputtreden jeder noch so kleinen Reform für den Standort zeitigt. Nach der jüngsten Meinungsumfrage des Bundesverbandes deutscher Banken glaubt erstmals seit vielen Jahren die Mehrheit der Befragten nicht, dass es sich für ausländische Unternehmen lohnt, in Deutschland zu investieren. Als Hauptgrund für Produktionsverlagerungen deutscher Unternehmen ins Ausland werden mit Abstand die hohen Lohnkosten genannt. Immerhin 45% der Befragten gehen davon aus, dass eine Lohnsenkung um 5% einen Rückgang der Arbeitslosigkeit zur Folge hätte. Über die nötigen Reformschritte herrscht in der Bevölkerung mehr Klarheit, als Politiker und Gewerkschafter annehmen.
(Börsen-Zeitung, 24.8.2004)
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