Börsen-Zeitung: Kommentar von Christian Burckhardt zur EZB-Zinspolitik: Nicht zu lange fackeln
Frankfurt (ots)
Reden Alan Greenspan und Jean-Claude Trichet die Konjunktur schön? Warum stimmen die Chefs der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht in den Chor jener ein, die das baldige Ende des erst 2003 begonnenen globalen Aufschwungs des stärksten seit vielen Jahren prophezeien? Weil Notenbanker fundamentale Faktoren stärker berücksichtigen: etwa dass Konjunkturzyklen eine Eigendynamik haben, einem gewissen Muster folgen, nicht völlig gradlinig verlaufen und dass ein Aufschwung selten nach vier Quartalen vorbei ist. Vertraut man bei seiner Analyse auf diese Faktoren, spricht zurzeit wenig dafür, dass der aktuelle Aufschwung ohne Einwirkung extremer Faktoren wie ein längeres Ölpreishoch von 50,60 Dollar je Barrel (Brent) seinen Höhepunkt bereits hinter sich haben sollte.
Vom Konjunkturverlauf her erwarten die Geldpolitiker also keinen günstigeren Inflationsausblick. Die US-Notenbank wird ergo auf Zinserhöhungskurs bleiben, und die EZB diesem näher rücken. Wenn sie übermorgen eine leicht höhere Inflationprojektion ihrer Experten für 2005 publiziert und der EZB-Rat seine Wachsamkeit wegen Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität bekräftigt, sollte man das als Trippelschritt in Richtung Ende der expansiven Politik deuten. Seit Juni 2003 liegt der EZB-Leitzins auf dem historischen Rekordtief von 2%.
Es mag ja sein, dass steigende Produktivität und mäßige Lohnrunden den Preisdruck mindern. Doch dreierlei wird den Notenbankern zunehmend Sorge bereiten: die über der EZB-Stabilitätsnorm von knapp 2% liegenden langfristigen Inflationserwartungen; das seit langem zu starke Geldmengenwachstum, getrieben vom Niedrigzins. Es hat eine riesige Überschussliquidität und damit ein Inflationspotenzial generiert, das sich bei stärkerem Wirtschafts- und Kreditwachstum mittelfristig entladen dürfte; und schließlich die Gefahr, dass die Teuerung auch 2005 ohnehin über 2% verharrt. Zwar hält der EZB-Rat noch an seiner These vom Inflationsrückgang 2005 fest, auch um nicht voreilig Zinserhöhungserwartungen zu schüren. Doch das sollte sich in den nächsten Wochen ändern: Die Euroland-Inflation ist zäh, das Durchschlagen der Energie- auf die Konsumentenpreise oft stärker als erwartet, und einige Euro-Staaten mit hohem Etatdefizit dürften erneut Steuern und/oder Gebühren anheben.
Die EZB sollte nicht bis Frühjahr ruhig abwarten, sondern die Zinswende noch vor Jahresende vollziehen. Geldpolitiker sind gehalten, vorausschauend zu agieren, da ihre Zinsmaßnahmen über ein Jahr brauchen, bis sie richtig wirken. Sie müssen um ihrer Reputation willen stets demonstrieren: Bei Inflationsalarm wird nicht lange gefackelt.
(Börsen-Zeitung, 31.8.2004)
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