Boersen-Zeitung: Countdown bei VW, Kommentar von Gottfried Mehner zum jüngsten Zwischenbericht der Volkswagen AG
Frankfurt (ots)
Stellt sich Volkswagen gegenwärtig absichtlich schlechter dar, um die anstehenden Verhandlungen mit der Arbeitnehmervertretung nicht zu gefährden? Dieser Verdacht kam nach dem jüngsten Zwischenbericht im Lager der Analysten auf. VW ist gewiss vieles zuzutrauen - dies dann aber doch nicht.
Man muss sich eher um das Gegenteil Sorgen machen: Die Investitionsquote ist mit 3% inzwischen auf einem absoluten Hungerniveau angekommen. Das entlastet zwar unmittelbar den Cash-flow, der bei VW immer die wichtigste Steuerungsgröße blieb. Aber gleichzeitig verbaut sich der Konzern seine Zukunft. Die Produktpipeline ist ja bis 2008 nahezu leer.
Ansonsten zeigt sich wieder das übliche Bild: Absatz und Umsatz legen mit zweistelligen Wachstumsraten bemerkenswert zu. Natürlich wirkt sich hier mit aus, dass die Zahlen gegen eine "miserable" Vorjahresbasis laufen. Die Zuwächse werden sich in den nächsten Monaten abschwächen. Dennoch, der globale Marktanteil, die Anteile in Westeuropa und Deutschland gingen weiter nach oben.
Aber im Ertrag ist wieder Tristesse angesagt. Es bleibt zu wenig hängen: Das Vorsteuerergebnis entspricht gerade einmal schmalen 1,6% vom Umsatz. Und nach Steuern sind es ganze 1,3%. Im Vorjahr waren es übrigens 0,6 bzw. 0,3%. Über 50% des Konzerngeschehens entfallen auf die Kernmarke Volkswagen Pkw. Und die schaffte nur eine operative Marge von 1%. Die Markengruppe Audi bringt es immerhin auf 4,1%, obwohl ihr Seat zur Last fällt. Um eine Angleichung der Effizienz geht es.
Natürlich sind für die Misere auch die regionalen Probleme in Nordamerika, in dem von massiven Überkapazitäten geplagten Südamerika und China verantwortlich. Aber eben auch die Verhältnisse in den westdeutschen Werken. Die 28,8-Stunden-Woche hat ihren Bezug zur industriellen Realität längst verloren. Wenn VW selbst einen zweistelligen Volumenstoß nicht in akzeptable Verdienstrelationen ummünzen kann, muss man nicht mehr viele Worte verlieren.
Die Probleme sind längst fertig analysiert. Die ganze Welt wartet jetzt auf Entscheidungen. Es wird noch etwas dauern, bis die Hauptversammlung und die Personalie Pischetsrieder abgehakt sind. Auch dann sind Horrorszenarien nicht zu erwarten. Die wird das Land Niedersachsen zu verhindern wissen. Größe schützt eben doch.
(Börsen-Zeitung, 29.4.2006)
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