Boersen-Zeitung: Bye, bye, Wachstumswert, Kommentar zur Amazon-Gewinnwarnung von Bernd Neubacher
Frankfurt (ots)
Einige Anleger dürften sich gestern von einem teuren Missverständnis verabschiedet haben: Amazon als Wachstumsunternehmen zu bewerten. Näher kommt der Wahrheit wohl, wer in dem Unternehmen ein ordinäres Online-Versandhaus sieht, das sich mit aggressiven Preisen prozentual zweistellig wachsende Umsätze sichert. Die Zeit großer Ertragssprünge jedenfalls scheint vorbei, noch bevor sie so recht begonnen hat. Anfang vorvergangenen Jahres hatte Amazon erstmals ein positives Ergebnis fürs Gesamtjahr ausgewiesen. Schon Ende 2004 setzte eine bisher nur selten unterbrochene Serie enttäuschender Quartalsausweise ein, die zur Wochenmitte wohl nur ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat.
Zugegeben: Dank ihres Online-Vertriebs braucht Amazon im Gegensatz zu ihren Wettbewerbern kein kostenträchtiges Filialnetz zu unterhalten. Dafür aber fallen, wie der jüngste Quartalsbericht deutlich macht, hohe Investitionen in Marketing und Technik an, um für den Kunden sichtbar zu bleiben und den E-Commerce zu verbessern. Denn es droht Konkurrenz von Adressen wie Google oder Ebay, und auch klassische Einzelhändler wie Wal-Mart drängen ins Netz.
Im zweiten Quartal haben diese Aufwendungen das Betriebsergebnis von Amazon mehr als halbiert, und die operative Marge ist um ganze 4 Punkte heruntergerauscht. Mit nur mehr 2% bewegt sie sich inzwischen nahe dem Niveau, das Anleger sonst aus dem als traditionell ertragsschwach geltenden Einzelhandel in Deutschland gewohnt sind - die Metro kam 2005 auf mehr als 3%.
Ob Amazon bald an diese Marke heranreichen wird? Mit der aktuellen Strategie wohl kaum: Generalisierung statt Spezialisierung lautet das Motto, ausgerechnet in einer Welt, in der die Konkurrenz für Kunden nur einen Maus-Click entfernt ist. Anstatt sich auf das Kerngeschäft mit Tonträgern, Filmen und Büchern zu konzentrieren, hat Amazon zur Expansion ins Lebensmittelgeschäft geblasen. Um aber im Wettbewerb mit Anbietern wie der Royal-Ahold-Tochter Peapod Fuß zu fassen, wird das Unternehmen Preise bieten müssen, die die Rentabilität in dem ohnehin ertragsschwachen Branchensegment weiter drücken. Amazon braucht schon eine Menge Überzeugungskraft, um Anleger glauben zu machen, dass Investitionen von heute sich morgen in Gewinnen auszahlen werden.
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