Börsen-Zeitung: Berliner Blockaden, Kommentar zu den Reformbaustellen der Bundesregierung von Stephan Lorz
Frankfurt (ots)
Man muss sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung mehr und mehr auf Abstand zu den etablierten Parteien geht und ihren Unmut etwa durch Wahlenthaltung kundtut, wie die jüngsten Urnengänge zeigen. Denn von den großen Reformvorhaben, die nach dem Motto "Große Koalition - große Lösungen" in der Koalitionsvereinbarung niedergelegt wurden, ist bisher nur der Föderalismus erfolgreich modernisiert worden. Bei den anderen Reformbaustellen hat man nur das Feld abgesteckt und belauert sich seither gegenseitig.
Am weitesten scheint noch die Gesundheitsreform gediehen. Immerhin gibt es eine Einigung über einige Eckpunkte. Doch wie es bei Kompromissen eben so ist, wenn zwei Partner mit diametral unterschiedlichen Vorstellungen zusammenkommen - man kann sich nur darauf verständigen, nichts zu tun. Davon zeugt der geplante Gesundheitsfonds, dessen Charme einzig und allein darin besteht, dass er einer künftigen Regierung alle Optionen offenhält. Dass man sich damit inzwischen selbst in der Koalition unwohl fühlt, bezeugen die vielen Querschüsse und letztendlich auch die Verschiebung der Reform.
Auch bei der Reform der Unternehmensbesteuerung wurde vollmundig ein Traditionsbruch versprochen, der vor dem Hintergrund der hohen Steuerlast und des Gesetzeswirrwarrs auch nottut. Wissenschaftler wurden mit der konkurrierenden Erstellung von eigenen Reformkonzepten beauftragt - die aber nun ignoriert werden, denn das Bundesfinanzministerium erstellt die Reform mit "Bordmitteln". Die Reform mutiert zum Reförmchen. Innerparteiliche Streitpunkte wie die überfällige Einführung einer Abgeltungssteuer, die bei den SPD-Linken auf Widerstand stößt, werden flugs auf das Jahr 2009 verschoben.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es im Sprichwort, doch zeigt der Koalitionsstreit um die Arbeitsmarktreform, dass es noch schlimmer kommen kann: Während die einen eine Lockerung des Kündigungsschutzes wollen, fordern die anderen einen Mindestlohn für alle. Beide lehnen die Forderung des jeweils anderen ab. Die Blockade ist perfekt. Längst haben sich die Koalitionäre in ihre alten Schützengräben zurückgezogen. Dass die Mehrheit der Deutschen einer Umfrage zufolge kein Vertrauen mehr in die Problemlösungskompetenz der Politik hat, ist vor diesem Hintergrund nur allzu verständlich.
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