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Börsen-Zeitung: Strategisch im Niemandsland, Leitartikel von Annette Becker zur vollständigen Übernahme des Reisekonzerns Thomas Cook durch KarstadtQuelle

Frankfurt (ots)

Bescherung! Anderthalb Jahre nachdem
KarstadtQuelle-Chef Thomas Middelhoff erstmals über den Erwerb der 
Mehrheit an dem mit der deutschen Lufthansa paritätisch geführten 
Reisekonzern Thomas Cook philosophierte, haben die beiden 
Gesellschafter endlich eine Lösung gefunden, den gemeinsamen 
Leidensweg zu beenden. Thomas Cook wird künftig komplett unter das 
Dach von KarstadtQuelle schlüpfen. Die Charterairline Condor dürfte 
mittelfristig verkauft werden.
Den Reisespaß lässt sich Middelhoff eine nette Stange Geld kosten.
Die Rede ist von 800 Mill. Euro. Für einen Konzern, der vor zwei 
Jahren noch hart an der Insolvenz entlangschrammte, ist das kein 
Pappenstiel. Sicher, die Ausgliederung der Warenhausimmobilien hat 
einen saftigen außerordentlichen Ertrag beschert. Doch statt die frei
gewordenen Mittel in die kostspielige Sanierung der beiden keineswegs
prosperierenden Geschäftsfelder Warenhaus und Versandhandel zu 
stecken, um ihnen eine dauerhafte Zukunft unter dem 
KarstadtQuelle-Dach zu sichern, begeben sich die Essener lieber 
selbst auf Einkaufstour in fremden Gefilden. Auch Wolfgang Urban, der
Vorvorgänger von Middelhoff, verschloss die Augen über Jahre vor der 
operativen Wirklichkeit und hinterließ letztlich einen Scherbenhaufen
in der Bilanz.
Das Aufkehren übernahm Middelhoff zusammen mit dem nun scheidenden
Finanzvorstand Harald Pinger. Zwar kehrt Pinger dem Handelskonzern 
aus freien Stücken den Rücken, doch wollen die Stimmen nicht 
verstummen, die das Ausscheiden des Finanzchefs mit einem erneuten 
Zuspitzen der finanziellen Lage des Konzerns in Verbindung bringen. 
Der Blick in die Bilanz zum 30. September bestätigt diese Mutmaßung 
jedoch nicht.
Dennoch hinterlässt der bevorstehende Abgang des Finanzchefs einen
faden Beigeschmack. Meinungsverschiedenheiten über die künftige 
Ausrichtung und Aufstellung des Konzerns werden in Essen zwar 
negiert, doch zeigt der strategische Schlingerkurs im Versandhandel, 
dass der Vorstand zumindest für den Distanzhandel bis heute kein 
passendes Rezept zur operativen Sanierung gefunden hat.
Nach den 2005 von Pinger durchgezogenen Feuerwehrmaßnahmen 
versuchte sich seit Anfang dieses Jahres der frisch gekürte 
Versandhandelsvorstand Marc Sommer an der Sanierung der inzwischen 
größten Sparte des Konzerns. Im August stand fest: Die Sanierung wird
sich um bis zu zwei Jahre verzögern und erheblich teurer als bislang 
budgetiert. Nur drei Monate später wird jedoch auch dieser Masterplan
über den Haufen geworfen. Unter dem Dach von KarstadtQuelle ist 
künftig kein Platz mehr für zwei der drei größten deutschen 
Universalversender. Neckermann.de soll verkauft werden, am liebsten 
über die Börse. Die hinter dem Verkauf stehende Logistikmaschinerie 
(Service Group), deren Effizienz mitentscheidend ist für Erfolg oder 
Misserfolg eines Versandhändlers, soll ebenfalls ausgelagert werden. 
Vorgeschaltet ist dem natürlich die Aufspaltung der Service Group, in
der Pinger die dem Versandhandel nachgelagerten Aktivitäten aller 
Versender gebündelt hatte.
Die hinter diesem Strategieschwenk steckende Logik ist 
einleuchtend und erschreckend zugleich. Sie offenbart, dass die 
Service Group im Verständnis des Vorstands als reiner Kostenblock 
gesehen wird. Ähnlich wie im stationären Einzelhandel geht es 
KarstadtQuelle zunächst nur darum, diese Fixkosten zu 
flexibilisieren. Das macht das schrumpfende Umsatzniveau erträglicher
und erlaubt eben auch den Verkauf von Neckermann.de.
Mit dem Verkauf von Neckermann.de entledigt sich der Essener 
Handelskonzern allerdings auch der Internet-Plattform, über die der 
Online-Reisevertrieb ursprünglich angetrieben werden sollte, sobald 
sich der Reisekonzern Thomas Cook vollständig im Besitz von 
KarstadtQuelle befindet. Man kann sich nur schwer des Eindrucks 
erwehren, dass der KarstadtQuelle-Vorstand seine Strategie wechselt 
wie andere das Hemd. So stellte Middelhoff mit der Veröffentlichung 
der Verkaufspläne für Neckermann.de auch prompt auf die Bedeutung der
stationären Vertriebsstellen im Reisegeschäft ab. Zuvor hatte er das 
Hohe Lied auf den Online-Vertrieb gesungen.
Inklusive der abzugebenden Spezialversender und der 
westeuropäischen Geschäfte von Quelle entledigt sich die 
Versandsparte freiwillig eines Umsatzvolumens von 1,6 Mrd. Euro. Die 
Gefahr, die für die Konditionen im Einkauf wichtige kritische Masse 
zu verlieren, wächst beständig. Das alles scheint Dealmaker 
Middelhoff jedoch nicht zu schrecken. Mit Thomas Cook verleibt er 
sich ja einen neuen Konzern ein, den er zerlegen und in Einzelteilen 
verkaufen kann. Strategisch liegt er damit sogar im Trend, denn das 
Modell der integrierten Reisekonzerne, die vom Veranstalter mit 
eigenen Hotelbetten bis hin zu den Sitzplätzen im Flugzeug alles 
besitzen, hat ausgedient. Das Private-Equity-Modell KarstadtQuelle 
hat im Vergleich zu anderen Finanzinvestoren jedoch einen 
entscheidenden Nachteil: Auf die Finanzierung der Käufe mit 
"billigem" Fremdkapital muss in Essen verzichtet werden.
(Börsen-Zeitung, 23.12.2006)

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