Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert die Probleme Karl-Theodor zu Guttenbergs bei der Reform der Bundeswehr:
Bremen (ots)
Die Pflicht ruft
von Joerg Helge Wagner
Eine geschlagene Woche lang haben sich nun die politische Klasse, das akademische Milieu und die mediale Erregungsgesellschaft abgearbeitet: an den mangelhaften Quellennachweisen in der fünf Jahre alten Doktorarbeit eines Nachwuchspolitikers, der heute Verteidigungsminister dieses Landes ist. Vielleicht darf man jetzt langsam wieder ernsthaft über Sicherheitspolitik diskutieren. Denn dort lauern Probleme, die den Minister wirklich zu Fall bringen können: Es geht schließlich um nicht weniger als sein Kernprojekt, den durchgreifenden Umbau unserer Streitkräfte zu einer hochprofessionellen Interventionstruppe. Falls ihm dies gelingt, wäre Karl-Theodor zu Guttenberg nach Helmut Schmidt und Volker Rühe der dritte wirklich bedeutende Verteidigungsminister der Bundesrepublik. Falls er scheitert, wäre das angesichts der Größe der Aufgabe zwar nicht ehrenrührig, wohl aber das frühe Ende seiner Politikerkarriere. Die Gefahr ist sehr real, auch wenn entsprechende Warnungen wegen anderer Aufgeregtheiten kaum wahrgenommen werden. Heeresinspekteur Werner Freers sieht bereits "große Lücken im Personalkörper" und schwindende Einsatzfähigkeiten in Afghanistan, weil finanzielle Anreize zur Anwerbung Freiwilliger "noch immer nicht gesetzlich geregelt" seien. Allein das Heer brauche pro Quartal rund 2000 Soldaten - gemeldet hätten sich aber nur gut 400 Interessenten. In die gleiche Kerbe haut Walther Stützle, der wohl renommierteste deutsche Militärexperte, im aktuellen Politikmagazin "Cicero": "Gesicherte Finanzierung, neues Laufbahnrecht, höhere Einstiegsgehälter, Abschlagszahlungen für Frühpensionäre: nicht in Sicht." Abgesehen davon würde die Wehrreform bis 2014 nicht acht Milliarden Euro einsparen, sondern 16 Milliarden Euro mehr kosten. Nun ist es nicht besonders fair, diese Missverhältnisse allein auf "handwerkliches Unvermögen des Ministers" zurückzuführen, wie es der Arbeitskreis Bundeswehr und Sicherheit beim SPD-Parteivorstand tut. Guttenberg betreibt die Wehrreform ja nicht aus persönlichen Prestigegründen, sondern aus politischer Notwendigkeit. Erst im Oktober hatte die sogenannte Weise-Kommission der Truppe quasi Untauglichkeit bescheinigt: bürokratisch, aufgebläht, zu teuer und zu schlecht ausgerüstet, ineffizient - das wirft eher ein trübes Licht auf Guttenbergs Vorgänger als auf ihn selbst. Er aber soll nun aufräumen - unter den scharfen Sparvorgaben des Finanzministers, gegen erhebliche Widerstände aus der Provinz ("Bloß keine Standortschließungen!") und aus der europäischen Rüstungsindustrie ("Bloß keine Beschaffung in den USA!"), gegen die erheblichen Beharrungskräfte in Ministerium und Militär. Abgesehen davon hat die Regierung - und nicht Guttenberg alleine - wider besseres Wissen falsche Erwartungen bezüglich der Kosten geweckt. Bereits im Mai 2005 bezifferte eine interne Studie des Verteidigungsministeriums die Mehrkosten einer Berufsarmee mit 1,1 bis 7,2 Milliarden Euro. Damals hieß der Hausherr noch Peter Struck, ein sozialdemokratischer Verfechter der Wehrpflicht. Doch auch ihm hatte Monate zuvor das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine volkswirtschaftliche Betrachtung nahegelegt: Die Wehrpflichtarmee sei "ein ineffizienter Einsatz von Arbeit und Kapital". Etwa, "wenn hochqualifizierte Arbeitskräfte einfache militärische Aufgaben verrichten müssen" und dabei nicht einmal ein besteuerbares Einkommen erzielen. Die berechtigte Kritik an der schleppenden Wehrreform ändert also nichts an der Einsicht, dass eine kaum brauchbare Wehrpflichtarmee der weitaus größere Luxus ist als eine etwas teurere, aber einsatzfähige Berufsarmee. Das sollte der große Klartexter Guttenberg nun endlich auch seinen Kabinettskollegen und seiner Kanzlerin vermitteln. Die Wehrreform ist eine Gemeinschaftsaufgabe, kein Solo-Trip. joerg-helge.wagner@weser-kurier.de
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