Weser-Kurier: Kommentar zu Joachim Gaucks Antrittsrede
Bremen (ots)
Kann man einen neuen Bundespräsidenten aus seinen Vorgängern destillieren? Mit seiner Antrittsrede hat Joachim Gauck gestern durchaus den Eindruck erweckt, dass dies möglich sei. Essentielle Anliegen früherer Hausherren im Schloss Bellevue tauchten in Serie auf: Versöhnen statt spalten von Johannes Rau, Richard von Weizsäckers offenes Eingeständnis der historischen Schuld an Verbrechen in deutschem Namen, Roman Herzogs Bekenntnis zu den Chancen der Freiheit, Christian Wulffs Wille, Deutschland als Einwanderungsland zu gestalten. Natürlich fehlte auch Theodor Heuss' unbedingtes Ja zu Europa nicht, ebenso wenig Gustav Heinemanns Eintreten für eine sozial gerechte Gesellschaft. War es deshalb eine schwache Rede, gar ein zusammengeklaubtes Plagiat? Natürlich nicht. Gauck hat sich zu Einsichten bekannt, die heute von einer breiten Mehrheit geteilt werden, die seine Vorgänger aber in ihrer jeweiligen Zeit geradezu vorgedacht haben. Auf diese Weise sind sie ihrem Amt zum Teil auf hervorragende Weise gerecht geworden - einem Amt, dass aufgrund seines merkwürdigen Zuschnitts eigentlich eine Zumutung für jeden Inhaber ist und dessen Berechtigung deshalb auch infrage gestellt werden darf. Gauck, ein im besten Sinne Intellektueller, weiß das natürlich. Also ist es fast schon ein Akt der Demut, wenn er sich so offensichtlich auf seine Vorgänger bezieht. Er schafft damit genau das, was er offen beabsichtigt: Vertrauen. Wenn er sich dies jedoch als "Geschenk" für die Politiker wünscht, liegt er einen halben Ton daneben: In einer gefestigten Demokratie ist Vertrauen gegenüber den politisch Verantwortlichen eine Leihgabe. Immer. Was Gauck deutlich von seinen Vorgängern unterscheidet, ist der ebenso selbstverständliche wie selbstbewusste Patriotismus, der aus seiner Rede spricht. Ein gutes Signal: Nur wer sein Land wertschätzt, ist auch in der Lage, es einladend und offen zu gestalten. Merkwürdig unscharf blieb Gauck indes zur Rolle dieses Deutschlands in der Welt, zu seiner Verantwortung jenseits von Europa. Man wünscht sich dazu eine weitere Rede, die Klarheit schafft, wo Horst Köhler scheiterte.
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