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Weser-Kurier: Zu den Krawallen in Istanbul schreibt Joerg Helge Wagner:

Bremen (ots)

Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat wieder einmal eindrucksvoll bewiesen, was ihn beeindruckt: rein gar nichts. Seinen Appell, endlich mehr Demokratie zu wagen, hätte Bundespräsident Gauck offenbar genauso gut an das Kopfkissen in seiner Hotelsuite richten können. Dass der Taksim-Platz in Istanbul für die türkischen Gewerkschaften eine extrem hohe symbolische Bedeutung hat, ist dem Premier völlig egal - wohlgemerkt einem Mann, der sonst gerne mit seiner niederen Herkunft kokettiert und der mit der Attitüde des Anwalts der "kleinen Leute" haushoch Wahlen gewinnt. Aber wie lange noch? Das Bemerkenswerte am gestrigen Tag ist ja nicht, dass Erdogan mit einem aberwitzigen Polizeiaufgebot eine Demonstration stoppen konnte. Viel interessanter ist, wer da demonstrierte: linke Gewerkschafter, die sich als "revolutionär" bezeichnen, die kemalistische Oppositionspartei CHP und die Kurdenpartei HDP. Die CHP ist ja nach deutschem Verständnis nicht wirklich sozialdemokratisch, sondern eher nationalliberal-konservativ - und damit zu linken oder gar kurdischen Parteien auf Distanz. Allerdings hat sie in ihrer bewegten Geschichte auch politische Schwenks hingelegt, die von Flexibilität zeugen. Und sie hat als Partei des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk große identitätsstiftende Kraft. Wenn sie sich als geläuterte Alternative zur zunehmend korrupten AKP Erdogans erweist, könnte sie diesem seine Basis - die "kleinen Leute" - durchaus abspenstig machen. Denn deren Verständnis für den Regierungschef wird schwinden, wenn der aus lauter Paranoia mal eben ganze Stadtviertel mit Tränengas bombardieren lässt - wie in Besiktas geschehen. Wie kurz ist für Erdogan der Weg von abgeworfenen Tränengaskanistern zu jenen Fassbomben, mit denen der benachbarte syrische Diktator Assad die Opposition traktiert? Dass Erdogan Assad als Todfeind betrachtet, muss nichts heißen: In den Methoden nähert er sich ihm an. Seine Sicherheitskräfte scheinen da noch keine Skrupel zu kennen - aber auch das kann sich ändern.

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