Rheinische Post: Der Wahlkampf wird spannend Kommentar Von Sven Gösmann
Düsseldorf (ots)
Es ist an der Zeit, mit einem Missverständnis aufzuräumen: Dieser Wahlkampf ist gar nicht langweilig. Am Sonntag Abend, wenn die Stimmen im Saarland, in Thüringen und Sachsen ausgezählt sind, wird eine lautstarke Debatte anheben. Wenn es ausgeht, wie die allerdings wackeligen Prognosen suggerieren, werden wir über die Frage streiten, ob Rot-Rot in den Ländern und auch im Bund die letzte Option von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier auf die Macht ist. Sollte es anders kommen und Schwarz-Gelb Triumphe feiern, wird Angela Merkel als vorzeitig wiedergewählt bejubelt werden. Die SPD wird dann hektisch überlegen, ob sie auf den letzten Metern noch das Zugpferd wechseln soll. Außerdem werden die Analysten an diesem Super-Wahlsonntag sehr genau die Ergebnisse der Kommunalwahlen in NRW studieren. 14,4 Millionen Wahlberechtigte an Rhein und Ruhr könnten zur Wahl gehen. Es werden weniger sein, aber noch genug, um aus den neuen Oberbürgermeister-Namen für Köln und Essen, den Ergebnissen aus Mönchengladbach oder Dortmund abzulesen, wer gerade unter politischer Kreislaufschwäche leidet. Wobei man, das sei heute schon gesagt, bei der Beurteilung der Kommunalwahlen sehr vorsichtig sein sollte, was deren landes-, erst recht bundespolitische Aussagekraft angeht. Zu sehr prägte meistenorts der Streit über lokale Themen und Kandidaten die Diskussion - und das ist auch gut so, denn es ist der Sinn von Kommunalwahlen. Bleibt also der Blick auf die drei Bundesländer Saarland, Thüringen und Sachsen, die sonst eher im Schatten der Betrachtung politischer Großzusammenhänge bleiben. Das Saarland, von Größe, Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft ein besserer Landkreis am Niederrhein, wird durch das Duell Oskar gegen den Rest der Welt zum Ereignis. Zudem haben Thüringens Althaus und Sachsens Tillich mit Schicksal und Affäre Blicke auf sich gezogen. Das Bundestagswahl-Ergebnis wird zwar noch nicht verraten, aber wir werden etwas klüger sein: Weichen die Sozialdemokraten ihr Mäuerchen zur Linkspartei weiter auf, so dass Steinmeier mit Rot-Rot-Grün eine realistische Machtperspektive bekäme? Mobilisierte das eher das schwarz-gelbe Lager, schreckte es mehr linke Wähler ab, als es sie vielleicht Steinmeier zutriebe? Darüber hinaus aber gibt es im Wahlkampf mehr Inhalte, als die politische Klasse und wir Journalisten sie entdecken wollen. Steinmeiers Deutschland-Plan ist eine Bestandsaufnahme aus sozialdemokratischer Sicht, mit Handlungsvorschlägen und allerlei Visionen. Diese muss man nicht teilen, aber honorieren, indem man sich mit ihnen auseinandersetzt. Gleiches gilt übrigens auch für den Wahlkampf der Unions-Kanzlerin. Angela Merkel trägt in ihrer Handtasche stets ein zerlesenes Exemplar des Regierungsprogramms von CDU und CSU mit sich herum. Darin steht vieles, was als Entwurf aus dem Hause des Wirtschaftsministers zwar große Aufregung auslöst, sonst aber nicht wahrgenommen wird. Stattdessen schwadronieren Merkel-Kritiker wie der ZDF-Chefredakteur Brender von "respektlosem Verhalten der Kanzlerin gegenüber dem Wähler". Er, leider aber auch kluge Köpfe wie der Junge-Union-Chef Philipp Missfelder (das war mal der mit der Hüfte), verwechseln Politik in Fernseh-Talkshows mit echter Politik. Auch ich habe zwar in schwachen Momenten Sehnsucht nach Gerhard Schröder - allerdings nur nach dem Entertainer der Schlämmer-Klasse als Pausenfüller. Doch die Zeiten sind anders. Die Deutschen haben in ihrer Mehrheit das Gefühl, dass sie von der nüchternen Merkel, dem schnoddrigen Steinbrück, dem eleganten Guttenberg, selbst vom drögen Steinmeier halbwegs ordentlich durch die Krise verwaltet werden. Diese vier regieren auch ein anderes Volk, als es Adenauer und Brandt, Schmidt und Kohl taten. Sie entstammten der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsgeneration. Die Popularität Merkels, die Anerkennung für Steinmeier sind Ausdruck, dass sie ein Land führen, das weitgehend von derzeit etwas verschreckten Kindern der Wohlstandsgesellschaft bewohnt wird. Die allgemeine Verachtung für den Versuch des Aufrechnungswahlkampfs "Dienstwagen-Ulla" gegen "Ackermann-Sause" ist Ausdruck einer neuen Nüchternheit, der Sehnsucht nach Harmonie bei Emotions-Transferleistungsempfängern. Deshalb ist es, siehe oben, derzeit nicht sehr unterhaltsam. Wählen zu gehen bleibt Arbeit, kein Spaß.
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