Rheinische Post: Die Neuwahl,die keiner wollte
Düsseldorf (ots)
Ein Kommentar von Sven Gösmann:
Politik unterwirft sich beileibe nicht immer einem Masterplan aus Werten und Sachzwängen, sie entsteht zu einem mindestens ebenso großen Teil aus Zufällen, Eitelkeiten, Karriereplanungen wie Unzulänglichkeiten oder einfach nur mittels einer losen Zunge. So ist es auch zu erklären, dass Nordrhein-Westfalen neu wählen muss. Es ist eine Wahl, die keiner wollte: SPD und Grüne nicht, die als Minderheitsregierung zwar angestrengt, aber von der Opposition lange unbehelligt regierten; die CDU nicht, die die mögliche Wahlniederlage scheute; die FDP nicht, die nach heutigem Stand aus dem Parlament fliegen dürfte; die Linkspartei nicht, der wegen Überflüssigkeit Ähnliches blüht. Die Berliner Parteizentralen stöhnen ob der mit einer "kleinen Bundestagswahl" verbundenen Lähmung der Bundespolitik. Die Bürger dürften in ihrer Mehrheit auch nicht begeistert sein. Der Wahlgang kostet mindestens 15 Millionen Euro. Ob er eine bessere Politik bringt, ist fraglich. Trotzdem wird gewählt. Nach allen Umfragen, die sich binnen zweier Monate kaum entscheidend ändern dürften, könnte es für Rot-Grün anders als 2010 für eine eigene Mehrheit reichen. CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen, im Hauptberuf Bundesumweltminister, hat als realistisches Wahlziel für die Union ausgegeben, stärkste Partei zu werden. Das dürfte sich dann allenfalls auf der Oppositionsbank dokumentieren. Tragische Figur im Landtag ist FDP-Fraktionschef Gerhard Papke. Mit seiner Ankündigung, im Rahmen der zweiten Haushaltslesung alle Einzeletats ablehnen zu wollen, provozierte er die Landtagsverwaltung die verfassungsrechtliche Lage zu prüfen. Mit dem Ergebnis, dass ein NRW-Haushalt auch schon bei fehlenden Mehrheiten für Einzelposten des Etats als abgelehnt zu gelten habe. Damit war die Minderheitsregierung handlungsunfähig. Von der einmal ausgegebenen Linie kam Papke nicht mehr herunter, zumal er prinzipientreuer ist, als es den Liberalen häufig unterstellt wird. Mit seinem Verhalten im Etatstreit stimmte er somit wohl der Abschaffung seines eigenen Arbeitsplatzes zu. Womöglich reißt er bei einer Wahlniederlage auch noch FDP-Bundeschef Philipp Rösler mit in den Abgrund. Über eines sollte die gestrige Aufregung um Macht und Mehrheiten nicht hinwegtäuschen: Rot-Grün ist nicht nur bei einer Abstimmung, sondern auch in der Sache gescheitert. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat das Wort von der "Schuldenkönigin" stets zurückgewiesen. Den Kern des Vorwurfs, sie betreibe eine zweifelhafte Finanzpolitik, konnte sie jedoch nicht entkräften. Die Prognose lautet deshalb: Wir werden einen rot-grünen Wahlkampf erleben, der Finanzen hinten anstellt und mit Blick auf Krafts Popularität ein Wohlfühlklima der sozialen Gerechtigkeit in den Vordergrund rückt unter dem Motto "Auf die Ministerpräsidentin kommt es an". Einen echten Rau-Wahlkampf also.
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