Rheinische Post: Mehr Kirche wagen - unterm Kreuz = Von Frank Vollmer
Düsseldorf (ots)
Treffen sich zwei Päpste - bis vor Kurzem fing so ein dummer Witz an. Genauer: Der Satz war der Witz. Jahrhundertelang war es undenkbar, dass ein Papst im Amt seinen Vorgänger hätte treffen können. Es waren daher bei aller freundlichen Herzlichkeit auch verstörende Bilder, die uns erreichten, als der Neue, Franziskus, den Emeritierten, Benedikt XVI., in die Arme nahm und mit ihm zum Gebet niederkniete. Unerhörtes war passiert. Alles neu. Und die ganze Welt sah staunend zu. Da liegt die Frage nahe: Sind diese Wochen jenseits der bloßen Neuigkeit auch eine gute Zeit für die Kirche? Zweifellos sind sie es gemessen an der öffentlichen Aufmerksamkeit. In viel kleinerem Umfang gilt das auch für die Evangelische Kirche im Rheinland. Auch sie hat einen Führungswechsel hinter sich - von Nikolaus Schneider zu Manfred Rekowski. Auch hier war der Neuanfang von viel Anteilnahme begleitet. Sowohl die katholische Welt- als auch die evangelische Landeskirche stehen vor einer Zäsur. In Rom wie in Düsseldorf sind die Erwartungen groß: Dort hoffen viele auf neue Akzente. Hier wünschen sich viele entschlossene Aufräumarbeit. Beiden gemein ist der Wunsch, die Kirche möge endlich wieder aus der Defensive kommen. Aufmerksamkeit ist zwar eine notwendige, sicher aber nicht die hinreichende Bedingung dafür; auch nicht die oft ehrliche Sympathie für den Neuen, der stets einen Vertrauensvorschuss genießt. Auch die banale Erkenntnis, der Mensch brauche nun mal Rituale, um sein zwischen sozialen Netzwerken und den zermürbenden Mühen des Alltags sich verlierendes Dasein in den Griff zu bekommen, greift zu kurz. Ebenso gut könnte man die "Tagesschau" zum existenziellen Anker erklären oder den Friseurbesuch. Gleiches gilt für die oft bemühte, oft leider auch zu wenig hinterfragte angebliche diffuse Sehnsucht nach Religiosität, die vor allem durch den katholischen Amtswechsel mit seinem (trotz aller Bescheidenheit) immer noch beachtlichen Pomp befriedigt werde: Solch große Momente müssen Ausnahmen sein; der kirchliche Alltag hat oft mehr von einer Wanderung über eine wasserlose Hochebene als von berauschendem Gipfelsturm. Für die intellektuell geprägte evangelische Kirche gilt das umso stärker. Es braucht mehr, wenn diese vorösterlichen Tage für die Kirche eine gute Zeit sein sollen. Und in der Tat gibt es eine Ressource, von der beide Konfessionen reichlich zehren können, wenn sie sie denn zu nutzen verstehen. Es ist die glücklicherweise gar nicht so diffuse Sehnsucht nach einer wahrhaftigen Kirche, die dahin geht, wo es wehtut: unters Kreuz. Der Papst tut das heute, wenn er jungen Gefangenen in Rom die Füße wäscht. Der rheinische Präses tut es morgen, indem er in einem Koblenzer Gefängnis predigt. Dass die steuerfinanzierte deutsche Amtskirche auch wegen ihres angeblichen Reichtums in der Kritik steht, ist nicht immer gerecht. Die besitzlose Urkirche ist bloß eine billige Utopie. Und doch hat die Sehnsucht ihre Berechtigung. Es ist der Wunsch nach einer Kirche, die in ihrer Christus-Nachfolge die Konzentration auf Ämter und Pfründen zumindest zurückstellt zugunsten ihrer ureigenen Stärke - die Katholiken nennen sie Caritas, die Protestanten Diakonie: Dienst am Nächsten. Überzeugend von Kreuz und Auferstehung erzählt nur, wer selbst in die Knie geht. Das heißt auch, sehr sparsam, dann aber entschlossen und stets mit Blick auf das Evangelium politisch Stellung zu beziehen. Man mag das Entweltlichung nennen. Benedikt hat das getan und dafür viel Kritik eingesteckt. Die Entweltlichung, die von der Kirche zu Recht erwartet wird, ist kein Rückzug aus den Anfechtungen der Welt. Es ist eine neue Spiritualisierung, eine neue Zugewandtheit im Auftreten. Es ist eine neue Kirchlichkeit - "Kirche" ist der griechischen Wortbedeutung nach die "Versammlung des Herrn", also nicht ein Amtsapparat, sondern das Gefolge des Gekreuzigten. Mehr Kirche wagen, heißt deshalb die Botschaft. Sie richtet sich an die Hirten, aber auch an die Schafe. Karfreitag ist ein guter Tag, daran zu erinnern.
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