Rheinische Post: Das Sinnbild Grass
Düsseldorf (ots)
Von Lothar Schröder
Die Debatte um Grass hält an, verwickelt sich zusehends, erschöpft sich in Klischees und erholt sich mit Meinungen aus neuen Perspektiven. Aber: Die Ansichten bleiben meist unversöhnt. Vielleicht muss das so sein, weil die Geschichte des Autors Günter Grass, der als halbes Kind in die Waffen-SS eintritt und hernach sechs Jahrzehnte darüber schweigt, zum Spiegel wird für die vielen Sichtweisen auf Geschichte: Die der Alten, die das alles erlebt haben, erleiden mussten; die der Jungen, die darüber auch moralisch reflektieren, natürlich die der Opfer, die der Täter und Mitläufer. Sie alle sind Teile eines Mosaiks, in dem das Komplexe der Vergangenheit zum Vorschein kommt. Geschichte kennt keine Bilanz, in ihr geht keine Rechnung wirklich auf. Das ist auf den ersten Blick unbefriedigend. Auch ist es anstrengend, weil es die permanente Auseinandersetzung mit Vergangenem fordert. Und doch beschreiben die Mühen und der Streit den einzigen Grund, warum wir uns überhaupt mit Geschichte beschäftigen: um aus ihr zu lernen. Mit seinem literarischen Rang und seinem tragischen Schweigen ist Grass zu einem Sinnbild für das 20. Jahrhundert geworden. Schon deshalb darf die Debatte ihn nicht beschädigen.
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