Trotz Bürgergeld: Versorgung von Hunderttausenden in Deutschland nicht gesichert
Berlin/München (ots)
Nach der Einführung des Bürgergeldes sind immer noch Hunderttausende Menschen in Deutschland von einer menschenwürdigen Existenz ausgeschlossen. Ärzte der Welt fordert von der Bundesregierung, auch für Asylsuchende und Menschen aus anderen EU-Ländern den Zugang zu notwendigen medizinischen Leistungen sicherzustellen.
"Das Bürgergeld sichert das wirtschaftliche Existenzminimum und ermöglicht eine Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben unserer Gesellschaft. Dieser Grundsatz ist nicht verhandelbar, sondern entspringt - vom Bundesverfassungsgericht bestätigt - direkt dem ersten Artikel des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar." So beschreibt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Hartz IV ablösende Grundsicherung. Doch obwohl diese einige Verbesserungen für Menschen bedeutet, die Sozialleistungen beziehen müssen, bleiben mehrere Hunderttausende Asylsuchende und EU-Bürger*innen außen vor. Das hat dramatische Auswirkungen auf ihre Gesundheit.
Ärzte der Welt sieht die Folgen dieser Politik in seinen Anlaufstellen für Menschen, die durch die Lücken des deutschen Gesundheitssystems fallen. Es zeigt sich deutlich: Ganze Bevölkerungsgruppen sind massiv unterversorgt.
"Die Reform des Hartz-IV-Systems wäre eine gute Gelegenheit gewesen, diskriminierenden Ausschlüssen aus der Gesundheitsversorgung endlich ein Ende zu bereiten. Das ist leider nicht passiert. So müssen Hunderttausende Menschen weiterhin ohne notwendige medizinische Leistungen leben oder sind auf ehrenamtlich getragene und teilweise durch Spenden finanzierte Angebote angewiesen", sagt Ärzte der Welt-Direktor François De Keersmaeker.
Es ist jedoch die in internationalen Abkommen verbriefte Aufgabe des deutschen Staates, das Menschenrecht auf Gesundheitsversorgung für alle im Land lebenden Menschen zu gewährleisten.
Deshalb fordert Ärzte der Welt heute gemeinsam mit 61 Organisationen und Verbänden, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen. [Appell]
Laut Asylbewerberleistungsgesetz haben Menschen, die unter das Gesetz fallen, nur einen Anspruch auf Leistungen unterhalb des Niveaus des Bürgergelds und damit - nach der eigenen Definition des BMAS - unter dem menschenwürdigen Existenzminimum. Auch der Zugang zu medizinisch notwendigen Behandlungen wird ihnen teilweise verwehrt.
Aber noch schlimmer trifft es erwerbslose EU-Bürger*innen, die unter bestimmten Voraussetzungen keinerlei Ansprüche auf medizinische Versorgung haben. Ärzte der Welt fordert daher, auch das dafür verantwortliche sogenannte Leistungsausschlussgesetz abzuschaffen.
Hintergrund:
Nach § 4 AsylbLG haben Asylsuchende in den ersten 18 Monaten nur Anspruch auf Kostenübernahme für medizinische Leistungen bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Geburt. Darüberhinausgehende Leistungen, zum Beispiel für chronische Erkrankungen, werden nach § 6 AsylbLG nur nach individuellen, oft langwierigen Einzelfallentscheidungen gewährt. Diese werden häufig von nicht-medizinischem Personal getroffen. Diese Einschränkungen müssen dringend gestrichen werden, damit alle Geflüchteten von Beginn ihres Aufenthalts in Deutschland an Zugang zu einer Gesundheitsversorgung auf dem Niveau des GKV-Leistungskatalogs erhalten. Dieser ist nach § 12 SGB V bereits so definiert, dass die gewährten Leistungen das "Maß des Notwendigen" nicht überschreiten dürfen.
Nach dem "Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" (dem sogenannten Leistungsausschlussgesetz) haben erwerblose EU-Bürger*innen in vielen Fällen keinen Anspruch auf Leistungen nach SGB II (Grundsicherung) und SGB XII (Sozialhilfe). Sie können einmal innerhalb von 24 Monaten für 4 Wochen sogenannte Überbrückungsleistungen bekommen. Diese beinhalten auch "die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung". Nach diesen 4 Wochen und für die nächsten 23 Monaten haben sie keinen gesetzlichen Anspruch mehr auf die Kostenerstattung medizinischer Versorgung, auch nicht im Notfall und auch nicht bei Geburten.
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