Stuttgarter Nachrichten: Ralph Giordano zu NPD: Rechtstaat wird in tätergünstigem Sinne ausgelegt - "Zeitgenössische Variante des Nationalsozialismus im sächsischen Landtag"
Stuttgart (ots)
Der Schriftsteller Ralph Giordano ist entsetzt über die Provokation der zeitgenössischen Variante des Nationalsozialismus im sächsischen Landtag mehr aber noch über die flauen Reaktionen der Staatsorgane. Den Stuttgarter Nachrichten (Dienstag) sagte er: Welcher Geist herrscht eigentlich hinter dem Beschluss, nicht gegen die NPD zu ermitteln? Ich habe es satt bis obenhin, dass der Rechtstaat dauernd unter Berufung auf Meinungs- und Redefreiheit in tätergünstigem Sinne ausgelegt wird. Die Demokratie gehe nicht wehrhaft gegen jene vor, die diese Freiheiten sofort aufheben würde, wenn sie könnten. Giordano: Was Bürgermeister und Polizei an Naziaufmärschen verbieten, wird durch Richter wieder erlaubt das ist haarsträubend! Wie auch das Fehlurteil der höchsten Richter gegen den NPD-Verbotsantrag: Die Herren sollten sich in Grund und Boden schämen darüber, was sie angerichtet haben.
Die Bundesrepublik als Ganzes sei nie wirklich von innen her antinazistisch gewesen, sondern opportunistisch, abwiegelnd, eher täter- als opferorientiert, so der Sohn einer Jüdin, dessen Familie dem Holocaust knapp entkommen ist: Die zweite Schuld, also die Verleugnung und Verdrängung der ersten Schuld unter Hitler, bestimmt die politische Kultur bis heute. Von wenigen Ausnahmen angesehen, seien die Täter nicht nur davongekommen, sondern konnten ihre Karrieren unbeschadet fortsetzen. Darum würde der Schatten der Vergangenheit noch über Generationen fallen, die in jeder Beziehung schuldlos sind. Giordano: Nicht wir Überlebenden halten die Suppe am Kochen, sondern der Leichenhimalaya im Keller der deutschen Geschichte.
Die Rechtfertigung, dass viele Wähler in Sachsen und Brandenburg nur aus Protest gegen Hartz IV Rechts gewählt hätten, will Ralph Giordano nicht gelten lassen: Es bleibt unheimlich, wenn trotz der NS-Vergangenheit eine nicht akzeptable Zahl von Bürgern angesichts sozialer Nöte in Deutschland nach rechts abdriftet. Als ob von dort auch nur die kleinsten Lösungen kommen könnten. Besonders abstoßend sei die Verlogenheit von NPD-Funktionären, wenn sie Anteilnahme an den Opfern des Angriffs auf Dresden mimten. Giordano: In Wahrheit haben diese Leute keine Beziehung zu dieser oder irgendeiner Opfergruppe. Für solche Nazihirne sind Opfer nie etwas anderes gewesen, als bloße Aufrechnungsmasse einer entseelten Totenarithmetik jenseits jeglicher Humanität.
ots-Originaltext: Stuttgarter Nachrichten
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