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Stuttgarter Nachrichten: Letztes Interview mit dem verstorbenen Schriftsteller Ephraim Kishon „Wiedergutmachung ist unmöglich“

Stuttgart (ots)

Nur widerwillig und sehr selten
hatte sich der israelische Schriftsteller Ephraim Kishon zu
politischen Themen geäußert. In seinem letzten Interview vor seinem
Tod in der Nacht zum Sonntag aber hatte er am Freitagabend im
Gespräch mit den Stuttgarter Nachrichten mit dieser Regel gebrochen.
Er nahm Stellung zur Israel-Reise von Bundespräsident Horst Köhler
und dessen geplanten Rede vor der israelischen Knesset, zum
israelisch- palästinensischen Konflikt, speziell zur umstrittenen
Siedlungspolitik Ariel Scharons und zum deutsch israelischen
Verhältnis nach dem Holocaust. Die Stuttgarter Nachrichten drucken
das Interview in der Montagausgabe.
Sie erhalten hiermit zunächst den Wortlaut des politischen Teils
des Interviews. Es folgen später weitere Zitate zu anderen Bereichen.
Herr Kishon, sollte Bundespräsident Horst Köhler anlässlich seiner
Rede am 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen
zwischen Deutschland und Israel Deutsch sprechen – obgleich einige
Knesset-Abgeordnete aus Protest das Parlament verlassen wollen?
Kishon: Sie stellen eine delikate Frage. Sie haben die
Judenvernichtung nicht erlebt, und ich bin leben geblieben. Der
Erste, der im israelischen Parlament Deutsch sprechen durfte, war
Axel Springer. Niemand hat den Saal verlassen, weil Springer für
seine außerordentliche Sympathie für unser Land geschätzt wurde.
Heute sind nach ihm Straßen benannt, wie auch nach Oskar Schindler.
Ich kann mich damit anfreunden, dass auch Horst Köhler Deutsch
spricht – vor allem nachdem er beim Gedenken in Auschwitz seine
tiefen Gefühle gezeigt hat. Der gute Mann sollte nicht beleidigt
werden. Als Ägyptens Präsident Saddat nach zwei blutigen Kriegen mit
Israel die Knesset besuchte und auf Arabisch sprach, ist auch niemand
hinausgegangen.
Ist das tatsächlich vergleichbar?
Ich kann nicht sagen: Pfeift auf die, die beim Besuch Köhlers
hinausgehen. Denn es könnte sein, dass sie damit ihre tiefen Gefühle
ausdrücken wollen. Aber es kann auch sein, dass ein paar Idioten
darauf spekulieren: Wer sich am gröbsten verhält, wer den Gast
möglicherweise beschimpft, bekommt die größten Schlagzeilen. Das
funktioniert in Israel so wie in Deutschland und wie überall auf der
Welt. Der Präsident hat meine größte Sympathie als Mensch und als
Präsident, der das brutale Benehmen der Nazis verurteilt. Auch
Dschingis Khan hat Millionen Menschen massakriert. Aber er hat seinen
Feinden nicht verboten, dass sie zu Hause Milch trinken oder einen
Kanarienvogel halten. Die Nazis haben nicht nur die Kamine von
Auschwitz befeuert.
Gilt denn dem politischen Israel die deutsche Sprache noch immer
als Tätersprache?
Deutsch ist die Sprache, in der den Juden die größten
Beleidigungen und Erniedrigungen widerfahren sind. Der israelische
Parlamentspräsident wird den Bundespräsidenten wahrscheinlich auf
Englisch begrüßen. Ich rate Herrn Köhler, eine kleine Rede auf
Hebräisch vorzubereiten, in der er seinen Respekt vor der Sprache der
Bibel und Jesus Christus bekundet. Dann sollte er um Verzeihung
bitten, dass er in seiner Sprache fortfährt, obwohl das Deutsch die
Bestialitäten der Nazis an Juden begleitet hat. So kann er eine Rede
auf sehr hohem Niveau halten.
Neben der Form, der Wahl der Sprache – was möchten Sie von Köhler
inhaltlich hören?
Er sollte sein Mitgefühl äußern, und er sollte um Entschuldigung
dafür bitten, was dem jüdischen Volk angetan worden ist. Das ist
keine leichte Rolle für ihn, denn er ist persönlich gar nicht
verantwortlich, dafür ist er viel zu jung. Erlauben Sie mir eine
Bemerkung: Heute sind ein Drittel der Nobelpreisträger Juden. Unter
den sechs Millionen von Nazis ermordeten Juden waren die Elite des
Judentums, die Einsteine. Wenn ich Deutscher wäre, würde ich dafür um
Entschuldigung bitten. Denn Wiedergutmachung ist unmöglich.
David Ben Gurion und Konrad Adenauer haben vor 40 Jahren
Wiedergutmachung versucht . . .
. . . viele meinen sogar, dass Israel dadurch erst in die Lage
versetzt wurde, seine schrecklichen Kriege durchzuführen. Die
metaphorische Änderung der deutschen Politik, die mit dem Dialog
zwischen Adenauer und Ben Gurion begonnen hat, zeigt sich auch darin,
dass Deutschland hinter den USA das Land ist, aus dem die meisten
Besucher nach Israel reisen. Sie sind als Freunde unseres Volks
zurückgekommen. Und es sind deutsche Regierungen, die Synagogen
wieder aufgebaut und Denkmäler errichtet haben. Die Botschaft all
dessen lautet: Nichts wird geleugnet, Israel wird nicht gehasst,
sondern als Land geschätzt, in dem die Überlebenden des Holocaust
leben.
Können Köhler und Scharon an Ben Gurion und Adenauer anknüpfen?
Nein. Adenauer war angefüllt mit Scham und dem guten Willen zu
zeigen, dass Deutschland etwas für den jungen israelischen Staat tun
kann. Ariel Scharon ist nicht ohne Gefühle, aber er ist ein großer
Feldherr. Aber wie er heute in Israel agiert, hat mit Tapferkeit
nicht mehr viel zu tun. Er wird sehr nett und höflich zu Horst Köhler
sein. Der Bundespräsident muss vor israelischen Journalisten darauf
achten, was er sagt, damit sie einzelne Aussagen nicht zerpflücken
und entsprechend ausgelegen.
Stichwort Auslegen: Warum legt Scharon jede Kritik an seiner
Siedlungspolitik als Antisemitismus aus?
Tatsächlich hat Ariel Scharon gesagt: Wer jüdische Siedler hasst
und ankündigt, er wolle ihre Siedlungen ausradieren, der denkt
antisemitisch. Diese Siedler haben sehr lebendige Regionen aufgebaut;
aber es sind zu viele, als dass sie alle zurückgegeben werden können.
Ich schätze Scharon dafür, dass er einen Kompromiss mit den
Palästinensern finden will – schließlich hat er diese Siedlungen
gebaut. Wir kämpfen nicht gegen die Palästinenser, wir kämpfen gegen
die Berichterstattung über die israelische Politik. Israel lebt in
einer Welt, in der Hitler und Nazi-Deutschland nur dank militärischer
Überlegenheit besiegt wurden – nicht aber von innen heraus.
Auszüge und Veröffentlichung sind mit Verweis auf die Quelle
„Stuttgarter Nachrichten“ frei.
ots-Originaltext: Stuttgarter Nachrichten
Digitale Pressemappe:
http://www.presseportal.de/story.htx?firmaid=39937

Rückfragen bitte an:

Stuttgarter Nachrichten
Redaktion
Joachim Volk
Telefon: 07 11 / 72 05 - 7120
Email: cvd@stn.zgs.de
Homepage: http://www.stuttgarter-nachrichten.de

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