Kieler Nachrichten: Kommentar Wahlrechtsurteil/ Tritt aus Karlsruhe
Kiel (ots)
Man muss kein Jurist sein, um dieses Urteil nachvollziehen zu können: Ein Wahlrecht, das durch den Rückgriff auf Überhangmandate große Parteien überproportional bevorzugt und bei dem es für eine Partei sogar zum Nachteil werden kann, gewählt zu werden, kann nicht im Sinne der Verfassung sein. Die schwarz-gelbe Koalition wollte das bisher leider nicht begreifen. Und so benötigte die Bundesregierung wieder einmal einen Tritt aus Karlsruhe, damit sich an dieser schreienden Ungerechtigkeit etwas ändert. Denn das ist seit gestern klar: Diesmal müssen sich die Parteien bewegen. Die Bundestagswahl im Herbst 2013 lässt keinen Raum mehr für taktisches Geplänkel. Außerdem haben die Verfassungsrichter die Daumenschrauben mit der Drohung, das Parlament notfalls aufzulösen, nochmals kräftig angezogen. Unter Druck steht damit vor allem die Union. Sie trägt die Hauptverantwortung für die gescheiterte Reform, weil sie erst unnötig viel Zeit verstreichen ließ und schließlich einen Kompromiss mit der Opposition für überflüssig hielt. Und sie ist es zugleich, die am meisten vom bisherigen System profitiert hat. Trotz der klaren Worte aus Karlsruhe behält die Politik genug Gestaltungsspielraum. Neue Ausgleichsregeln für Überhangmandate sind ebenso möglich wie das Ende der Landeslisten. Sogar ein Abschied vom Zwei-Stimmen-System würde nicht am Einspruch der Verfassungshüter scheitern. Aber durchschaubar und gerecht - das muss das neue Wahlrecht sein. Hoffentlich haben die Abgeordneten das endlich begriffen.
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