Julie Christie: "Truffaut wollte Macht über meinen Körper"
München (ots)
Eine Münchner Sommernacht, es ist Filmfest, und die "Independentparty" im Innenhof des Filmmuseums erreicht ihren Höhepunkt. In einem abgetrennten Bereich stehen ein paar Tische für die Stargäste. Einer von ihnen ist für Oscarpreisträgerin Julie Christie reserviert, eine Ikone des "Swinging London" der Sechziger. Heute lebt sie zurückgezogen in England und gibt so gut wie keine Interviews. Doch dann tritt, wie ein gütiger Luftgeist, ein Filmfest-Mitarbeiter auf uns zu. Er weiß um unseren Wunsch, mit Christie zu sprechen. "Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt." Christie ist gut gelaunt und neugierig auf ihren Gesprächspartner. Sie will vieles wissen: über München, über die Berliner Filmszene, über deutsche Medien. Ihr Ehemann ist selber Journalist. Während sie hartnäckig nachfragt und sehr offen zuhört, trinkt sie Weißwein und raucht eine Zigarette nach der anderen. So kam es, wein- und rauchgeschwängert, zum folgenden Gespräch.
Tele 5 zeigt am 7. Juni um 09.30 Uhr in der Meisterwerke Matinée Truffauts 'Fahrenheit 451' mit Julie Christie.
Tele 5: Sie schienen schon immer Ihren eigenen Kopf zu haben. Aber heute wirken Sie richtig unabhängig. Sie machen nur noch ganz wenige Filme, engagieren sich dafür politisch und in Tierschutzfragen. Wo sehen Sie sich?
Julie Christie: Ich weiß nicht, wie unabhängig ich bin. Ich werde nur als unabhängig wahrgenommen, im Vergleich zu früher. Das Leben ändert sich.
Was haben Sie für Erinnerungen an den Dreh von 'Fahrenheit '451'?
Nur zum Teil gute. Truffaut war nett, aber auch wahnsinnig autoritär. Alles musste so passieren, wie er es wollte, ohne Kompromisse. Aber da ist er bei mir an Grenzen gestoßen. Stellen Sie sich vor: Er wollte meine Haare scheren. Komplett. Mein Leben lang habe ich lange Haare, und das war für mich eine Grenze, die zu überschreiten er kein Recht hatte. Vielleicht war es auch nur so ein psychologisches Männerding: dass er auf diese Art Macht über meinen Körper wollte. Dazu hatte er aber kein Recht. Das habe ich instinktiv gefühlt, obwohl ich unerfahren war und die Zusammenhänge erst viel später besser durchschaut habe. Jedenfalls blieben meine Haare dran und wir haben das dann mit Perücken gemacht. Auch mit Oskar Werner war es schwierig, jedenfalls persönlich. Ich erinnere mich, dass ich ihn wahnsinnig ernst fand und er war nicht sehr gesellig, er hat kaum gesprochen. Er sprach eigentlich nur mit Truffaut.
Sie haben auch in Hollywood gedreht, aber eigentlich nie lange. Warum?
Weil ich Angst hatte. Und nicht viel Selbstvertrauen. Selbst in den sechziger Jahren, als ich sehr berühmt wurde. Ich habe diesen Ort und seine Mechanik, seine eigenen physikalischen Gesetze nie wirklich verstanden. Hollywood ist wie der Mars. Wenn man dort hinkommt, muss man selber so tun, als sei man ein Marsmensch. Andererseits gibt es dieses richtige Hollywood heute gar nicht mehr. Die Presse erfindet Hollywood. Ich finde diese ganze Marketing-Arbeit stressig. Hollywood ist im Prinzip eine Wegwerf-Gesellschaft, in der die Boulevard-Presse und die Marketing-Maschinerie regieren.
Heute leben Sie vor allem ihr privates Leben?
Ja. Es gab eine Zeit, da habe ich viel Geld verdient, aber das ist mir zwischen den Fingern zerronnen. Ich bedaure das auch gar nicht. Ich bin nicht sehr materialistisch. Ab und zu arbeite ich, nicht zuletzt weil ich Ausgaben habe und das Geld gebrauchen kann. Aber ich bin keine geborene oder sehr begeisterte Schauspielerin. Davon abgesehen finde ich, jeder sollte sein eigenes Essen kochen können, sollte seine Nachbarn kennen. Das ist jetzt mein Leben. Ich kümmere mich um die Nachbarskinder, um meinen Mann, um den Garten. Mich interessiert eigentlich nur, dass die Pflanzen wachsen.
Also keine Rückkehr zum Kino?
Nein, nur gelegentlich. Und dann eher zum europäischen Film. Ich bin eine Europäerin und verstehe die europäische Sensibilität oder Amerikaner, die stark von Europa beeinflusst sind, weitaus besser.
Interview: Rüdiger Suchsland
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