Lausitzer Rundschau: Fußball und Patriotismus Die Fahne als Fanartikel
Cottbus (ots)
Die Fußball-Europameisterschaft beginnt - und die Deutschen zeigen wieder Flagge. Bereits in den vergangenen Tagen tauchten zunehmend schwarz-rot-goldene Fahnen an den Autos oder hinter den Fensterscheiben auf. Und in den kommenden Wochen dürften es täglich mehr werden - jedenfalls, wenn die deutsche Elf in der Schweiz und Österreich ähnlich erfolgreich und begeisternd aufspielt wie 2006 bei der WM im eigenen Land. Damals, beim deutschen Sommermärchen, hat sich die Welt ein wenig über die unerwartete Lockerheit der Gastgeber gewundert - wahre Verblüffung löste deren unverkrampfter Umgang mit nationalen Symbolen aber vor allem bei einheimischen Leitartiklern und Politikern aus. Von einem neuen, weltoffenen Patriotismus und der lang erwarteten "Rückkehr zur Normalität" wurde da geschwärmt, so als habe es die Wendezeit oder den Gewinn der Fußball-WM 1990 nie gegeben. Schon damals fuhren Autokorsos in Schwarz-Rot-Gold durch deutsche Städte - und schon damals hatte das nichts mit einem aggressiven Nationalismus, sondern nur mit purer Freude zu tun. Und mit einem Gemeinschaftsgefühl, das Menschen zu verbinden scheint, die ansonsten wenig gemeinsam haben - den Multimillionär und den Hartz-IV-Empfänger, den Schwaben und den Mecklenburger, den Bayern-Fan und den Anhänger von Werder Bremen. Es ist bemerkenswert und in gewisser Weise beruhigend, dass in Deutschland offenbar nur noch der Fußball in der Lage ist - und auch das nur für ein paar Wochen -, eine solche vorgestellte Gemeinschaft herzustellen, die objektive Unterschiede in einem größeren Ganzen aufzulösen scheint. Denn wohin die Übersteigerung eines solchen Gefühles auf anderer Grundlage führen kann, hat die Zeit zwischen 1933 und 1945 auf furchtbarste Weise gezeigt. Dass sich die Deutschen mit dem Patriotismus in der Folge einigermaßen schwer getan haben, ist eher ein Verdienst als ein Mangel. Wer aus nationalistischer Hybris einen Krieg mit 50 Millionen Toten entfacht, kann kaum einfach zur Tagesordnung übergehen. Das wussten im Übrigen nicht nur Anhänger des linken Lagers. Franz-Josef-Strauß, der große Mann der CSU, warnte 1964 im Gespräch mit dem Journalisten Günter Gaus, "Worte wie Vaterland, Nation, Opfergeist oder das sehr ambivalente Wort Patriotismus" müsse man "mit großer Vorsicht gebrauchen, wenn man nicht entweder in Gefahr laufen will, es zu einem völlig inhaltsleeren Wortgebilde zu machen oder es mit gefährlichen Erinnerungen zu füllen." Die Deutschen - in ihrer großen Mehrheit - haben diese Lektion verinnerlicht. Es fällt ihnen deshalb in diesen Tagen so leicht, die schwarz-rot-goldenen Fahnen zu zeigen, weil sie damit eben keine politische Aussage machen wollen, sondern eine sportliche. Einst war die Fahne das Feldzeichen, unter dem Krieger in die Schlacht marschierten. Heute ist sie, ihres martialischen Inhalts beraubt, zum Fanartikel geworden. Es gibt keinen Grund, das zu bedauern.
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