Lausitzer Rundschau: Immer wieder die alten Reflexe Zur Reaktion auf das Schicksal der behinderten Jennifer
Cottbus (ots)
Schlimm, schlimm - aber schuld sind immer die anderen. Egal, wer sich zu dem erschreckenden Schicksal des behinderten Mädchens aus der Uckermark äußert: Jeder ist betroffen, eine Schuld trifft niemanden. Fakt ist, dass in einem gut durchorganisierten Land eine Familie in ein 350-Seelen-Dorf zieht. Eine Familie mit fünf Personen - von denen nur vier in der Öffentlichkeit auftauchen. Die Nachbarn wunderten sich, schwiegen über Jahre und klagen jetzt die Behörden an. Die ehemalige Bürgermeisterin, immerhin, fragte sich einige Jahre nach dem Zuzug der Familie, was wohl aus dem dritten, dem "unsichtbaren" Kind geworden sei. Sie alarmierte das zuständige Jugendamt und fühlte sich fortan nicht mehr verantwortlich. Das Jugendamt wiederum schickte ein einziges Mal einen Mitarbeiter, der sich angeblich von den Eltern überzeugen ließ, ihr Kind sei wegen seiner Behinderung von der Schulpflicht befreit. Damit war der Fall für die Behörden erledigt. Das war im Jahr 2006. Seitdem hat niemand mehr nachgefragt, wie es Jennifer geht. Und noch bevor die Kette dieses Versagens bis ins letzte Glied enträtselt ist, verkündet der zuständige Jugendminister Holger Rupprecht (SPD), dass ein solcher Fall heute (!) aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen nicht mehr möglich sei. Die brandenburgische CDU fordert eine Rechts- und Fachaufsicht über die Jugendämter, die SPD lehnt das ab und die Deutsche Kinderhilfe fordert überhaupt mehr Geld für den Kinderschutz. Und was ist mit Jennifer? Sie ist nicht viel mehr als ein hilfloses Bündel Mensch. Jedes Jahr, das sie in Isolation verbracht hat, reduzierte ihre Chancen auf ein halbwegs selbstbestimmtes Leben. All die reflexhaften Schuldzuweisungen und Abwehrmechanismen nützen diesem Mädchen wenig. Vielleicht wären alle Beteiligten gut beraten, wenn sie sich zu einer schlichten Entschuldigung durchringen könnten. Einer Entschuldigung dafür, dass sie, jeder an seinem Platz, ein kleines Stück weit versagt haben. So wie Menschen immer wieder versagen, wenn sie sich nicht trauen, sich einzumischen und unbequem zu werden und nachzufragen.
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