Lausitzer Rundschau: Die Regierung und die Debatte um die Integration
Cottbus (ots)
In ihrer Verzweiflung versuchen sich hochrangige Vertreter der schwarz-gelben 35-Prozent-Koalition jetzt als Trittbrettfahrer. Man hat in Berlin und München offenbar sehr genau registriert, auf welche Resonanz die Thesen des Ex-Bankers und Ex-Politikers Thilo Sarrazin, alles in allem ein ziemlich kruder Mix aus Pseudo-Wissenschaft und Banalitäten, in Teilen der Bevölkerung gestoßen sind. Deshalb erklärt CSU-Chef Horst Seehofer nun - Demografie hin, Fachkräftemangel her - weitere Zuwanderung kategorisch für unerwünscht. Und Kanzlerin Angela Merkel, die noch vor Kurzem die deutsche Nationalelf als Beispiel gelungener Integration feierte, lässt wissen, "Multikulti" sei gescheitert - ohne allerdings genau zu erläutern, was sie denn damit wohl meint. Schließlich lässt sich kaum leugnen, dass das ganz normale Leben, das wir heute in Deutschland führen, ein aus vielerlei Kulturen gespeistes Sammelsurium ist. Wir essen Pizza, Soljanka und Döner, wir trinken Tee und Kaffee, wir tragen Hosen aus Amerika und T-Shirts aus China, unsere Zahlen sind arabisch-indischen Ursprungs, unser Justizsystem basiert auf altem römischen Recht, und wenn wir reden, benutzen wir Lehnwörter aus fast allen Sprachen der Welt. In diesem Sinne ist jede moderne Gesellschaft eine multikulturelle Gesellschaft. Funktionieren kann sie freilich nur unter zwei Bedingungen. Erstens: Jeder, der in einer solchen Gesellschaft lebt, muss sich an die dort geltenden Gesetze halten, die auch eine Summe historischer Erfahrungen sind. Und zweitens: Jeder sollte - im eigenen Interesse - die Sprache erlernen, die es ihm ermöglicht, an dieser Gesellschaft teilzuhaben. Das war's dann aber auch. Auch wenn mancher Unionspolitiker in den vergangenen Tagen nicht müde wurde, die christlich-jüdisch-abendländischen Werte zu betonen, auf denen unsere Gesellschaft beruhe: Ob er sonntags in die Kirche geht oder auf den Fußballplatz, Schweinefleisch isst oder vegan lebt, an Allah glaubt oder an das große Nichts, ist jedermanns Privatsache und geht weder Staat noch Regierung etwas an. Ohnehin ist schon ein gewaltiges Maß an Heuchelei und Selbstgerechtigkeit im Spiel, wenn man die selbst ernannten Werte-Bewahrer dieser Tage so reden hört. Zum einen hat es auch die christlich-jüdisch-abendländische Tradition nicht verhindert, dass es in diesem Land vor weniger als 80Jahren zum größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte kommen konnte. Zum anderen wird gegen den Islam gerne ins Feld geführt, sein Frauenbild widerspreche westlichen Werten. Tatsächlich gehört die volle Gleichberechtigung der Frau mittlerweile zu den Grundlagen unserer Gesellschaft und ist nicht verhandelbar. Wer aber über den Islam urteilt, sollte sich in Erinnerung rufen, dass sie auch in der Bundesrepublik Deutschland erst 1993 im Grundgesetz verankert wurde. Dass die Vergewaltigung in der Ehe hierzulande erst seit 1997 strafbar ist. Oder dass die Türkei schon 1934 das volle Frauen-Wahlrecht eingeführt hat - knapp 40 Jahre vor der christlich-abendländischen Schweiz. Warum sollte, vor diesem Hintergrund, nicht auch ein aufgeklärter Islam Teil Deutschlands sein können? Seine Vertreter zu unterstützen und in die Pflicht zu nehmen, nicht billige Stimmungsmache, wäre die Aufgabe verantwortlicher Politik.
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