Lausitzer Rundschau: Wendesignale an den Bund SPD profitiert von Wowereit - Der Freiheitsgedanke wandert zu Piraten
Cottbus (ots)
Keine große Überraschung in Berlin, was die Großen betrifft - eine (erwartbare) Sensation, was die Piratenpartei betrifft. Die Hauptstadtwahl sagt einiges über Berlin aus und sehr viel über die politischen Veränderungen in der Republik insgesamt. Was Berlin betrifft: Wowereit kann weiterstrahlen. Sein Politikstil hat sich etabliert - er ist ein Typ des neuen Berlins. Einer Stadt, die den langen Weg aus der provinziellen Insellage über zwei pubertäre Selbstfindungsjahrzehnte zur international anerkannten Metropole schaffte. Eine Stadt, die zwar noch immer im Werden ist, aber unverkennbar einen unverwechselbaren Hauptstadt-Charakter entwickelt. Wowereit passt zu dieser Entwicklung und deshalb war die Berlin-Wahl auch eine Wowereit-Wahl. Aber nicht alles ist schnieke in der Stadt. 64 Milliarden Euro Schulden, überdurchschnittlich viele Hartz-IV-Empfänger und unterdurchschnittliche Steuereinnahmen. Das alles gereichte der SPD und ihrem populären Spitzenkandidaten nicht oder kaum zum Nachteil. Zudem gehen viele Berliner wie selbstverständlich davon aus, dass die Selbstfindungs-Party der Metropole nicht nur weiter geht, sondern es durchaus in Ordnung ist, wenn alle deutschen Steuerzahler für die Rechnung aufkommen. Was den Bund betrifft: Während die Frage, wer die wachsende Berliner Zeche zahlt, noch ungelöst im Raume steht, lassen sich die bundespolitischen Gewinner und Verlierer der Wahl schnell ausmachen. Das Superwahljahr 2011 hört auf, wie es begonnen hat. Die SPD triumphierte in Hamburg, hielt ihre Stellungen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Bremen, bekam in Baden-Württemberg einen Fuß in die Tür, erfreut sich bester Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern und reibt sich nun die Hände in Berlin. Zwar ist das Ergebnis keineswegs schmeichelhaft, aber ausreichend, um sich bundesweit stark zu fühlen. Die CDU hingegen steht ein wenig dumm da: Sie legt in Berlin zu, aber an die Fleischtöpfe der Macht kommt sie nicht und kann daher von dem verbesserten Ergebnis nicht wirklich profitieren. Gar nicht gut sieht es für die schwarz-gelbe Koalition aus, denn der FDP geht es jetzt ans Eingemachte. Sie stirbt auf Raten. Und mit ihr die Regierungskoalition im Bund. Schon der verzweifelte Versuch, auf den letzten Drücker mit einem populistischen Europathema Prozente in Berlin zu retten, glich dem Überlebenskampf eines Ertrinkenden. In einer extremen Lage wächst die Bereitschaft für ungewöhnliche Maßnahmen - bis hin zur Aufgabe der Regierungsbeteiligung. In den nächsten Tagen wird es innerhalb der FDP und zwischen CDU und FDP hoch hergehen - Ausgang ungewiss. Hochinteressant ist das Abschneiden der Piratenpartei. Bei der letzten Bundestagswahl profitierte die FDP noch von dem diffusen Verlangen der Wähler nach mehr Freiheit und nach einer anderen Politik. Die Deutschen spüren, dass sich die Gesellschaft verändert, und eine stattliche Anzahl von Wählern - vor allem junger Wähler - trauen den etablierten Parteien keine passenden Antworten auf diese Veränderungen zu. Noch schaut keiner so genau hin, was die Piraten wollen und können. Aber es wird nicht lange dauern, bis sich die Frage aufdrängt, ob das Anderssein schon als Antwort auf die vielen Fragen ausreicht, die das angebrochene Informationszeitalter aufwirft.
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