Lausitzer Rundschau: Hand in Hand auf dünnem Eis Zum 70. Jahrestag des Warschauer Ghetto-Aufstandes
Cottbus (ots)
Bilder sagen mehr als tausend Worte. Man denke an Willy Brandts Kniefall vor dem Warschauer Mahnmal der Ghetto-Helden im Jahr 1970. Der Kanzler sank unter der Last der Geschichte nieder. Er verneigte sich vor den jüdischen und polnischen Opfern der NS-Terrorherrschaft. Das war die Botschaft jenes Bildes, das um die Welt ging. Der Kniefall war eine grandiose Versöhnungsgeste. Heute, 70 Jahre nach dem Aufstand im Ghetto, mehr als vier Jahrzehnte nach Brandts Auftritt in Warschau und fast 25 Jahre nach dem Mauerfall, geistert ein anderes Bild durch die Gazetten. Es zeigt Angela Merkel in der Kleidung eines KZ-Häftlings. Das rechtskonservative polnische Magazin "Uwazam rze" hat die geschmacklose Illustration auf ihrer Titelseite gedruckt, um die Aufmerksamkeit der Käufer auf eine Analyse der deutschen Geschichtsaufarbeitung seit dem Weltkrieg zu lenken. Auslöser für den Affront waren ebenfalls Bilder: jene Szenen in der ZDF-Kriegstrilogie "Unsere Mütter, unsere Väter", die Kämpfer der polnischen Partisanen als Judenhasser zeigen. Auch diese Bilder waren ein Affront. Es war fahrlässig und historisch falsch, die polnische Untergrundarmee AK als einen Hort des Antisemitismus darzustellen. Die Empörung darüber in Polen war ebenso groß wie berechtigt. Der Streit rechtfertigt allerdings nicht die Merkel-Darstellung als KZ-Kanzlerin. Und so stellt sich an diesen Gedenktagen, die eigentlich den Helden und Opfern des Warschauer Ghetto-Aufstandes gewidmet sein sollten, eine alte Frage mit neuer Brisanz: Ist die oft gerühmte Versöhnung zwischen Deutschen, Polen und Juden wirklich gelungen? Zweifel sind angebracht. Der Streit um den ZDF-Film und die KZ-Kanzlerin belegt, dass die Aussöhnung zwischen den Völkern zwar weit fortgeschritten sein mag. Aber Deutsche, Polen und Juden wandeln Hand in Hand auf dünnem Eis. Es bedarf weiterer geduldiger Arbeit an den Fundamenten, um darauf eine gemeinsame Zukunft bauen zu können. Politiker, Historiker und Filmemacher, aber auch wir Journalisten sollten dies stets bedenken.
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