Lausitzer Rundschau: Einigung zum Versammlungsrecht /Ein Misstrauensvotum
Cottbus (ots)
Es kann einen tatsächlich frösteln, wenn man sich vorstellt, wie die Hitler-Verehrer am Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin vorbeitrampeln. Dass da die Forderung aufkommt, dergleichen zu verbieten, ist verständlich. Und doch beschreitet die große Mehrheit des Bundestages einen gefährlichen Weg, wenn sie versucht, mit schärferen Gesetzen einem Problem Herr zu werden, das sich juristisch nicht aus der Welt schaffen lässt. Es wäre tatsächlich traurig, würden wir in einem Land leben, in dem nur noch Polizei und Richter Neonazis daran hindern könnten, die Unwahrheit zu verbreiten. Und wir sollten das Denkmal in Berlin besser gleich wieder einebnen, wenn es nur von der Staatsmacht zu schützen wäre. Aber offensichtlich fühlt sich die Politikerschar in diesem Lande schon so allein gelassen, dass sie sich gar nicht mehr auf uns verlassen will. Sie will nicht darauf vertrauen, dass Hunderttausende von Lehrern und Erziehern, Journalisten, Künstlern, dass Millionen von Vätern und Müttern in diesem Land ihrer Verantwortung gerecht werden. Die Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und Union will nicht nur Gedenkstätten per Gesetz vor Neonazis schützen. Die Wahrheit über die Nazi-Verbrechen soll behütet werden, indem derjenige bestraft wird, der diese Gräuel in der Öffentlichkeit billigt. Aber was ist das für eine Wahrheit, die nicht aus der Vermittlung der geschichtlichen Tatsachen erwächst, sondern den Staatsanwalt als Helfer benötigt? Und was ist das für ein Land, in dem die politisch Verantwortlichen solch eine Furcht vor offensichtlichen Lügen haben? Sicher, der Rechtsstaat hat zu schützen. Menschen zu schützen vor politischen Fanatikern beispielsweise, die gewalttätig werden. Dafür brauchen wir Staatsanwälte und Polizisten. Aber vor der Dummheit der braunen Parolen braucht er uns nicht bewahren. Das ist unser aller Aufgabe. Und die Gedenkstätten an die Nazi-Opfer, die ehren wir vor allem dadurch, dass wir sie besuchen und gegebenenfalls an bestimmten Tagen in großer Zahl. Wir brauchen dieses Misstrauensvotum der Politik an die Menschen im Land nicht. Es schadet eher, als dass es nutzt. Eine Lüge sollte man nicht zur Anzeige bringen, man sollte ihr widersprechen. Und einer Schamlosigkeit begegnet man nicht mit dem Polizeiknüppel, sondern mit sichtbarer Verachtung. Dazu sind wir sehr wohl in der Lage. Man stelle sich den Aufmarsch dieses braunen Packs in Berlin vor und diese große Stadt antwortet mit der Würde, zu der sie durchaus in der Lage ist. Man stelle sich vor, auf jeden dummen Glatzkopf kommen Hunderte von Blumensträußen zum Andenken an die in den Tod geschickten Juden Europas. Offensichtlich trauen uns das unsere Abgeordneten nicht zu. Sie liegen darin leider nicht nur bei diesem Problem falsch.
ots-Originaltext: Lausitzer Rundschau
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