Elektroautos: Bleibt Europa auf dem Beifahrersitz?
Mainz (ots)
Im Juni 2022 besiegelte das EU-Parlament das Aus für Neuwagen mit Verbrennungsmotoren ab 2035 - ein zentraler Schritt auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität bis 2050. Immerhin verursachen Pkw 15 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in Europa. Der Übergang zur Elektromobilität bedeutet einen tiefgreifenden Wandel für die europäische Automobilindustrie, die angesichts der wachsenden Dominanz Chinas ins Hintertreffen geraten ist. Diese Vorherrschaft hat China unter anderem mit Hilfe staatlicher Subventionen über Preis-Dumping herbeigeführt. Als Reaktion auf die Maßnahmen Chinas hat die Europäische Union Einfuhrzölle auf chinesische Fahrzeuge verhängt. Eine Analyse des Kreditversicherers Coface wirft einen Blick auf den europäischen E-Auto-Markt.
Die europäische Automobilindustrie trägt 7 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt der EU bei und stellt eine der letzten wichtigen industriellen Säulen des Kontinents dar. Die Herausforderung in Europa besteht darin, die Automobilbranche umzustellen, eigene batteriebetriebene Fahrzeuge zu produzieren und gleichzeitig die selbst gesteckten Ziele zur CO2-Neutralität zu erreichen. Kein leichtes Unterfangen. "Wenn die EU ihre E-Auto-Flotte ausbauen will, braucht sie eine geeignete Ladeinfrastruktur. Bis 2030 sollen für 30 Millionen Elektroautos 3,5 Millionen Ladestationen installiert werden. Auf Basis der aktuellen Ausbaurate würde das noch über 12 Jahre dauern. In Deutschland wären es etwas mehr als 8 Jahre, um das Infrastrukturnetz entsprechend aufzubauen", erklärt Coface-Volkswirtin Christiane von Berg.
Absatz muss bis 2035 jährlich um 14 Prozent steigen
In der ersten Jahreshälfte 2024 rangierten Elektroautos mit einem Anteil von lediglich 12,5 Prozent des gesamten Fahrzeugabsatzes in der EU nur an vierter Stelle, obwohl dies einen beachtlichen Anstieg von über 30 Prozent zum Vorjahr bedeutete. Bei einem erwarteten Wachstum des gesamten Pkw-Absatzes von 2 bis 3 Prozent bis zum Jahr 2035 würde das Erreichen des EU-Ziels - also der 100-prozentige Absatz von Elektrofahrzeugen - eine jährliche Wachstumsrate von 14 Prozent erfordern. Das derzeitige Wachstumstempo gibt Anlass zur Hoffnung, dass dieses Ziel in greifbare Nähe gerückt sein könnte. Allerdings hinkt die europäische Produktion derzeit hinterher, sodass ein Großteil des Verkaufsanstiegs im Jahr 2023 auf den Anstieg der Importe chinesischer E-Autos zurückzuführen ist.
EU hat Mühe, ihre Ziele zu erreichen
Der hohe Anteil chinesischer Importe verdeutlicht die Schwierigkeiten der EU, ihre Produktionsziele bei Elektroautos zu erreichen. Unzureichende Industriekapazitäten, insbesondere im Bergbau zur Gewinnung der Rohstoffe und in der Batterieproduktion, sind ein großes Hindernis und haben die EU zu Investitionen bewogen. Unter anderem wurde das Unternehmen European Lithium mit rund 15 Millionen Euro bezuschusst, um sein "Wolfsberg Lithiumprojekt" in Österreich voranzutreiben, in Deutschland erhielt BASF 5 Millionen Euro für das Recycling Seltener Erden. "Diese Initiativen scheinen angesichts der Menge an kritischen Materialien, die für die Energiewende und die Elektroautoindustrie benötigt werden, jedoch nicht ausreichend zu sein", sagt Christiane von Berg. Gleiches gelte für die Investitionen in die Batterieproduktion, auch hier bleibe Europa bislang weit hinter den bis 2030 erforderlichen Investitionen in Höhe von 125 Milliarden Euro für eine umfassende Batterieversorgungskette zurück.
Ein weiteres Hindernis für den Durchbruch von Elektrofahrzeugen sind nach wie vor ihre Kosten. Obwohl in mehreren EU-Ländern Kaufanreize und staatliche Vorteile geschaffen werden, sind diese nicht einheitlich und gleichen den Preisunterschied zu Hybrid- und Verbrennungsfahrzeugen bei Weitem nicht aus. Diese europäischen Hemmnisse werden durch den steilen Aufstieg Chinas noch verstärkt. Die chinesische Regierung hat zwischen 2009 und 2023 mehr als 231 Milliarden US-Dollar in die Elektroautoindustrie investiert - zusätzlich zu den Subventionen für Batteriehersteller und Produzenten von wichtigen Rohstoffen wie Lithium. Infolgedessen hat der Hersteller BYD bereits 2023 Tesla, den Pionier moderner E-Autos, bei der Anzahl der weltweit verkauften Fahrzeuge überholt.
Mit oder ohne China? Ein strategisches Dilemma
Die Konkurrenz aus China stellt die EU vor ein strategisches Dilemma: Wie können Arbeitsplätze und die europäische Automobilindustrie geschützt und gleichzeitig die ehrgeizigen Klimaziele für 2035 erreicht werden? "Die Abstimmung vom 4. Oktober 2024 über Zollaufschläge von bis zu 35,3 Prozent auf die Einfuhr chinesischer Elektrofahrzeuge hat das Problem nochmals in den Vordergrund gerückt. Dabei steht fest, dass die erhobenen Zölle zu niedrig sind, um chinesische Exporte nach Europa zu stoppen", sagt Christiane von Berg. Eine weitere Möglichkeit, der chinesischen Konkurrenz zu begegnen, könnte darin bestehen, sie in die heimische Produktionskette mit einzubeziehen und auf diese Weise die inländischen Produktionskapazitäten für Elektrofahrzeuge zu erhöhen. So hat BYD bereits mit dem Bau einer ersten Fabrik in Ungarn begonnen. Im aktuellen geopolitischen Kontext birgt es allerdings auch erhebliche Risiken, die gesteckten Produktionsziele auf Kosten der Eigenständigkeit der europäischen Industrie zu erreichen und den technologischen Rückstand Europas offenzulegen.
Die gesamte Analyse und Grafiken zum Download: www.coface.de
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