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Soziale Aufstiegschancen in Deutschland besonders schlecht - Parteien streiten über Lösungswege
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Berlin (ots)
In kaum einem anderen industrialisierten Land sind die Chancen auf sozialen Aufstieg so ungleich verteilt wie in Deutschland. Neue wissenschaftliche Expertise beschreibt die größten Aufstiegshürden im Lebensverlauf. Auf Einladung der Vodafone Stiftung Deutschland und der stiftung neue verantwortung diskutierten erstmals führende Vertreter aller Parteien über Auswege aus der Misere. Hermann Gröhe (CDU) fordert: "Bildungssystem, das Leistung fordert und fördert". Andrea Nahles (SPD): "Gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni". Cem Özdemir (Die Grünen): Betreuungsgeld und Bildungspaket gibt "genau die falschen Antworten".
Deutschland ist das Land mit der geringsten sozialen Durchlässigkeit, verglichen mit den europäischen Nachbarn und Nordamerika. Wer in eine bestimmte soziale "Klasse" hineingeboren wird, hat wenig Chancen, im weiteren Lebensverlauf in die nächste höhere Klasse aufzusteigen. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Expertise, die Dr. Reinhard Pollak vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland erstellt hat und die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. In der Nachkriegszeit schafften besonders viele Menschen einen sozialen Aufstieg, was in Westdeutschland nicht nur am "Wirtschaftswunder" lag, sondern auch an einer zunehmend chancengleicheren Gesellschaft, so Pollak. Heute hingegen gäbe es in Deutschland deutlich mehr soziale Abstiege als früher. Gleichzeitig sei es gerade für die Menschen, die am unteren Ende der Gesellschaft leben, besonders schwierig geworden aufzusteigen.
Die Ursachen für die mangelnden Aufstiegschancen, so der Forscher, sind klar. Die Antworten der Politik jedoch sind völlig unterschiedlich. Dies zeigte sich bei einer Diskussionsrunde der Vodafone Stiftung und der stiftung neue verantwortung, bei der führende Vertreter aller Parteien mit den Ergebnissen dieser neuen Expertise konfrontiert wurden.
Zunächst die Ursachen: Laut der Expertise des Sozialwissenschaftlers ließen sich in allen Lebensphasen - im Kleinkindalter, in der Schulzeit, in der Jugend, aber auch im Erwachsenenalter - Hürden für den sozialen Aufstieg ausmachen.
Aufstiegshürde Nr. 1: Bildungs- und Erziehungsdefizite im Elternhaus blockieren Entwicklung im Kleinkindalter
In den ersten Lebensjahren entwickeln Kinder die Eigenschaften, die für ihren späteren Werdegang von entscheidender Bedeutung sind. Hierzu zählen sowohl Sprachfähigkeit und rechnerische Fähigkeiten als auch soziale Kompetenzen, Motivation und Selbstdisziplin. Die Vermittlung all dieser Eigenschaften erfolgt in Deutschland im Wesentlichen durch die Eltern. Viele Eltern können aber diese wichtiger werdenden Grundkompetenzen heute nicht mehr ausreichend vermitteln. Viele Kinder haben daher von vornherein schlechte Startchancen.
Aufstiegshürde Nr. 2: In der Schulzeit werden Schulwechsel blockiert
Während der ersten Schuljahre werden die Leistungsunterschiede zwischen Kindern aus niedriger und hoher sozialer Herkunft immer größer. Dies liegt häufig auch daran, dass es keine geeignete Nachmittagsbetreuung gibt, bei der die Kinder aus niedriger sozialer Herkunft ihre Nachteile zumindest teilweise ausgleichen könnten. Nach der Grundschule besuchen viele Kinder aus benachteiligten Verhältnissen nicht das Gymnasium, obwohl ihre schulischen Leistungen bzw. ihre kognitiven Fähigkeiten dafür ausreichen würden. Dies liegt an mangelnder häuslicher Förderung und den Bildungsentscheidungen der Eltern, die je nach Schichtzugehörigkeit unterschiedlich ausfallen. Lehrer lassen sich zudem durch die soziale Herkunft der Kinder beeinflussen, insbesondere bei der Notengebung und beim Verfassen der Schulempfehlungen. Auch dadurch werden die Aufstiegschancen dieser Kinder blockiert. Im weiteren Verlauf der Schulzeit geht das Leistungsniveau der unterschiedlichen Schulformen so stark auseinander, dass ein späterer Wechsel auf eine höhere Schulform kaum möglich ist.
Aufstiegshürde Nr. 3: In der Jugend werden die Berufschancen blockiert
Jugendliche, die einen sehr guten mittleren Schulabschluss und eine Berufsausbildung haben, können sich zwar theoretisch durch ein Hochschulstudium weiterqualifizieren, praktisch wird diese Möglichkeit jedoch vielfach nicht genutzt, da Vorkenntnisse aus der Schulzeit und eine gezielte Förderung fehlen. Hauptschulabsolventen oder Jugendliche ohne Abschluss werden voreilig als nicht ausbildungsreif abgestempelt und haben somit kaum Chancen auf einen Ausbildungsplatz.
Aufstiegshürde Nr. 4: Im Erwachsenenalter werden Karriereschritte blockiert
Ein bestimmter Qualifikationsabschluss ist häufig unverzichtbar, um einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Lohngruppe zu erreichen. Die große Bedeutung von Abschlüssen und nicht von tatsächlichen Leistungen im Beruf blockiert aber die Karrierechancen von vielen Menschen in Deutschland. Dies wiegt besonders schwer, weil das Nachholen eines Abschlusses hierzulande besonders schwierig ist. Es fehlen hierfür klare Rahmenbedingungen und eine ausreichende finanzielle Förderung. In vielen Teilen Deutschlands sind zudem nur unzureichende Kinderbetreuungseinrichtungen vorhanden, um die Eltern während einer Weiterbildungsphase zu entlasten.
Die Problemlage wird von keiner der politischen Parteien in Deutschland geleugnet, die Meinungen über die politischen Schlussfolgerungen gehen indes auseinander. Auf der Diskussionsveranstaltung der Vodafone Stiftung und der stiftung neue verantwortung äußerten sich hochrangige Vertreter aller Parteien zu den Herausforderungen.
CDU Generalsekretär, Hermann Gröhe, setzte auf "ein Bildungssystem, das Leistung fordert und fördert." Deshalb, so Gröhe, "bauen wir die frühkindliche Bildung aus, indem wir Ganztags-Kindergärten anbieten ebenso wie Ganztags-Schulen, gerade in sozialen Brennpunkt-Quartieren. Gleichzeitig wollen wir ein differenziertes, aber durchlässiges Bildungssystem."
Dagegen übte der Grünen-Vorsitzende, Cem Özdemir, jedoch deutliche Kritik: "Das geplante Betreuungsgeld und ein bürokratisches Bildungspaket sind genau die falschen Antworten. Die Mittel müssen vielmehr direkt in den quantitativen und qualitativen Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen, in denen gerade auch junge Menschen aus sozial benachteiligten Milieus die notwendige Förderung in einem sozial und kulturell anregenden Umfeld erfahren."
Der designierte Generalsekretär der FDP, Patrick Döring, betonte, genau wie sein Amtskollege von der CDU, die Bedeutung von Arbeitsplätzen. "Gutes, starkes Wachstum", so Döring, schaffe "die besten Chancen für Arbeit und Aufstieg."
Gerade im Bereich von Wirtschaft und Beschäftigung sieht SPD Generalsekretärin, Andrea Nahles, jedoch großen Handlungsbedarf. Sie forderte im Vorfeld der Veranstaltung wieder mehr "Ordnung auf dem Arbeitsmarkt mit einer Stärkung des Normalarbeitsverhältnisses und weniger prekärer Beschäftigung". Nahles forderte im Vorfeld der Diskussion weiterhin, "mehr Chancengleichheit im Bildungssystem durch besondere Förderung und gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni."
Der stellvertretende Bundestagsfraktionsvorsitzende der Linken, Dr. Dietmar Bartsch, betonte, die geringe Chancengleichheit in Deutschland sei "das Ergebnis von Politik". Er setzte sich daher für eine "Umverteilung von Lebenschancen und Macht" als "zentralen Aspekt der Gesellschaft" ein.
Einig waren sich nahezu alle Vertreter der Parteien, dass die Bildung von Benachteiligten besonders gefördert werden sollte, um die sozialen Aufstiegschancen in Deutschland zu erhöhen.
Die Vodafone Stiftung Deutschland und die stiftung neue verantwortung arbeiten gemeinsam an einem Think Tank Projekt zur Verbesserung der sozialen Aufstiegschancen in Deutschland.
Über die Vodafone Stiftung Deutschland
Die Vodafone Stiftung ist eine der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland. Unter dem Leitmotiv "Erkennen. Fördern. Bewegen." unterstützt die Stiftung als gesellschaftspolitischer Thinktank insbesondere Programme in den Bereichen Bildung, Integration und soziale Mobilität mit dem Ziel, Impulse für den gesellschaftlichen Fortschritt zu geben, die Entwicklungen einer aktiven Bürgergesellschaft zu fördern und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Dabei geht es der Stiftung vor allem darum, benachteiligten Kindern und Jugendlichen den sozialen Aufstieg zu ermöglichen.
Über die stiftung neue verantwortung
Die stiftung neue verantwortung fördert das interdisziplinäre und sektorübergreifende Denken entlang der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen und Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Durch ihr Fellow- und Associate-Programm bringt die Stiftung junge Experten und Vordenker aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zusammen, die im Rahmen zeitlich befristeter Projekte kreative Ideen und Lösungsansätze entwickeln und diese mittels verschiedener Publikations- und Veranstaltungsformate in den öffentlichen Diskurs einbringen. Die stiftung neue verantwortung ist gemeinnützig, unabhängig und überparteilich.
Wichtiger Hinweis: Die Expertise, die Dr. Reinhard Pollak vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland erstellt hat, sowie die dazugehörigen druckfähigen Grafiken und hochauflösende Fotos der Veranstaltung stehen Ihnen zum kostenfreien Download im Internet auf www.vodafone-stiftung.de bereit.
Pressekontakt:
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